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Von den Freuden- und Leidenschaften
Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so hast du
sie mit Niemandem gemeinsam.
Freilich, du willst sie bei Namen nennen und liebkosen; du willst sie am
Ohre zupfen und Kurzweil mit ihr treiben.
Und siehe! Nun hast du ihren Namen mit dem Volke gemeinsam und bist
Volk und Heerde geworden mit deiner Tugend!
Besser thätest du, zu sagen: »unaussprechbar ist und namenlos, was meiner
Seele Qual und Süsse macht und auch noch der Hunger meiner Eingeweide
ist.«
Deine Tugend sei zu hoch für die Vertraulichkeit der Namen: und musst du
von ihr reden, so schäme dich nicht, von ihr zu stammeln.
So sprich und stammle: »Das ist mein Gutes, das liebe ich, so gefällt es mir
ganz, so allein will ich das Gute.
Nicht will ich es als eines Gottes Gesetz, nicht will ich es als eine
Menschen-Satzung und –Nothdurft: kein Wegweiser sei es mir für Über-
Erden und Paradiese.
Eine irdische Tugend ist es, die ich liebe: wenig Klugheit ist darin und am
wenigsten die Vernunft Aller.
Aber dieser Vogel baute bei mir sich das Nest: darum liebe und herze ich
ihn, – nun sitze er bei mir auf seinen goldnen Eiern.«
So sollst du stammeln und deine Tugend loben.
Einst hattest du Leidenschaften und nanntest sie böse. Aber jetzt hast du
nur noch deine Tugenden: die wuchsen aus deinen Leidenschaften.
Du legtest dein höchstes Ziel diesen Leidenschaften an’s Herz: da wurden
sie deine Tugenden und Freudenschaften.
Und ob du aus dem Geschlechte der Jähzornigen wärest oder aus dem der
Wollüstigen oder der Glaubens-Wüthigen oder der Rachsüchtigen:
Am Ende wurden alle deine Leidenschaften zu Tugenden und alle deine
Teufel zu Engeln.
Einst hattest du wilde Hunde in deinem Keller: aber am Ende verwandelten
sie sich zu Vögeln und lieblichen Sängerinnen.
Aus deinen Giften brautest du dir deinen Balsam; deine Kuh Trübsal
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Also sprach Zarathustra
- Title
- Also sprach Zarathustra
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 354
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den Lehrstühlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glückseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berühmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom Vorübergehen 170
- Von den Abtrünnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der großen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- Außer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die Begrüßung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352