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Der Wahrsager
»- und ich sahe eine grosse Traurigkeit über die Menschen kommen. Die
Besten wurden ihrer Werke müde.
Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: »Alles ist leer, Alles ist
gleich, Alles war!«
Und von allen Hügeln klang es wieder: »Alles ist leer, Alles ist gleich,
Alles war!«
Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Früchte uns faul und
braun? Was fiel vom bösen Monde bei der letzten Nacht hernieder?
Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, böser Blick sengte
unsre Felder und Herzen gelb.
Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf uns, so stäuben wir der Asche
gleich: – ja das Feuer selber machten wir müde.
Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zurück. Aller Grund will
reissen, aber die Tiefe will nicht schlingen!
»Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken könnte«: so klingt unsre
Klage – hinweg über flache Sümpfe.
Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu müde; nun wachen wir noch
und leben fort – in Grabkammern!« –
Also hörte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung gieng
ihm zu Herzen und verwandelte ihn. Traurig gieng er umher und müde; und er
wurde Denen gleich, von welchen der Wahrsager geredet hatte.
Wahrlich, so sagte er zu seinen Jüngern, es ist um ein Kleines, so kommt
diese lange Dämmerung. Ach, wie soll ich mein Licht hinüber retten!
Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll es ja
Licht sein und noch fernsten Nächten!
Dergestalt im Herzen bekümmert gieng Zarathustra umher; und drei Tage
lang nahm er nicht Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und verlor die
Rede. Endlich geschah es, dass er in einen tiefen Schlaf verfiel. Seine jünger
aber sassen um ihn in langen Nachtwachen und warteten mit Sorge, ob er
wach werde und wieder rede und genesen sei von seiner Trübsal.
Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; seine
Stimme aber kam zu seinen Jüngern wie aus weiter Ferne.
Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr Freunde, und helft mir
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Also sprach Zarathustra
- Title
- Also sprach Zarathustra
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 354
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den Lehrstühlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glückseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berühmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom Vorübergehen 170
- Von den Abtrünnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der großen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- Außer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die Begrüßung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352