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Der häßlichste Mensch
– Und wieder liefen Zarathustras Füße durch Berge und Wälder, und seine
Augen suchten und suchten, aber nirgends war der zu sehen, welchen sie sehn
wollten, der große Notleidende und Notschreiende. Auf dem ganzen Wege
aber frohlockte er in seinem Herzen und war dankbar. »Welche guten Dinge«,
sprach er, »schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, daß er schlimm
begann! Welche seltsamen Unterredner fand ich!
An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern;
klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die
Seele fließen!« –
Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit einem
Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier
starrten schwarze und rote Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine
Vogelstimme. Es war nämlich ein Tal, welches alle Tiere mieden, auch die
Raubtiere; nur daß eine Art häßlicher, dicker, grüner Schlangen, wenn sie alt
wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum nannten dies Tal die Hirten:
Schlangen-Tod.
Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als
habe er schon einmal in diesem Tal gestanden. Und vieles Schwere legte sich
ihm über den Sinn: also, daß er langsam ging und immer langsamer und
endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen auftat, etwas, das am
Wege saß, gestaltet wie ein Mensch, und kaum wie ein Mensch, etwas
Unaussprechliches. Und mit einem Schlage überfiel Zarathustra die große
Scham darob, daß er so etwas mit den Augen angesehen habe: errötend bis
hinauf an sein weißes Haar, wandte er den Blick ab und hob den Fuß, daß er
diese schlimme Stelle verlasse. Da aber wurde die tote Öde laut: vom Boden
auf nämlich quoll es gurgelnd und röchelnd, wie Wasser nachts durch
verstopfte Wasser-Röhren gurgelt und röchelt; und zuletzt wurde daraus eine
Menschen-Stimme und Menschen-Rede – die lautete also:
»Zarathustra! Zarathustra! Rate mein Rätsel! Sprich, sprich! Was ist die
Rache am Zeugen?
Ich locke dich zurück, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein Stolz
sich hier nicht die Beine bricht!
Du dünkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rate doch das Rätsel, du
harter Nüsseknacker – das Rätsel, das ich bin! So sprich doch: wer bin ich!«
– Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte – was glaubt ihr wohl, daß
sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er sank mit
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Also sprach Zarathustra
- Title
- Also sprach Zarathustra
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 354
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den Lehrstühlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glückseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berühmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom Vorübergehen 170
- Von den Abtrünnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der großen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- Außer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die Begrüßung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352