Seite - 178 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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keit der Seele . . . sind nötig, weil so viele Tausende un-
glücklich würden, wenn diese Grundsäulen erschüttert wür-
den. Soll aber dieses das Kriterium der Unantastbarkeit sein,
so werden wir statt zwei Säulen bald wieder eine ganze
Kolonnade haben. Ich habe einen sehr rechtschaffenden Mann
gekannt, dem Tränen des Entzückens die Backen herab-
rollten, wenn er dachte, daß er dereinst die fünf Wunden
berühren und seine Finger hineinstecken würde etc. Man
soll den innern Frieden der Gemüter nicht stören, also wenn
man ihn nie stört, was geschieht einem? Und quaeritur
[gefragt sei] ferner: Wo geht denn das Stören an ? Und wer
soll entscheiden, daß es angegangen sei? Mit einem Wort,
es stellen sich hier alle die Plackereien ein, die überall mit
dem Stehenbleiben auf halbem Wege verbunden sind." —
„Daß die Seele nach dem Tode übrigbleibt, ist gewiß erst
geglaubt und dann bewiesen worden. Dieses zu glauben ist
nicht seltsamer, als Häuser für einen einzigen Mann zu
bauen, worin ihrer hundert Platz haben, ein Mädchen eine
Göttin und ein gekröntes Haupt unsterblich zu nennen." —
„Der Mensch wird ein Sophist und überwitzig, wo seine
gründlichen Kenntnisse nicht mehr hinreichen; alle müssen
es folglich werden, wenn von Unsterblichkeit und Leben
nach dem Tode die Rede ist. Da sind wir alle ungründlich,
Materialismus ist die Asymptote der Psychologie." — „,Es
wird nach unserm Leben so sein, wie es vor demselben war' —
dieses ist ein instinktmäßiger Begriff vor allem Räsone-
ment. Mail kann ihn noch nicht beweisen, aber für mich
hat er, zusammengenommen mit andern Umständen —
Ohnmacht, Betäubung —, eine unwiderstehliche Gewalt
und hat es auch vermutlich für eine Menge von Menschen,
die es nicht gestehen wollen. Kein einziges Räsonement
hat mich noch vom Gegenteil überzeugt. Meine Meinung
ist Natur, jenes ist Kunst, deren Realität alles so sehr und
stark widerspricht, als nur etwas widersprechen kann." —
„Die wenigsten Menschen haben wohl recht über den Wert
des Nichtseins gehörig nachgedacht. Unter Nichtsein nach
dem Tode stelle ich mir den Zustand vor, in dem ich mich
befand, ehe ich geboren ward. Es ist eigentlich nicht
Apathie — denn die kann noch gefühlt werden —, sondern es
ist gar nichts. Gerate ich in diesen Zustand — wiewohl hier
die Wörter ,ich' und , Zustand' gar nicht passen —, es ist,
glaube ich, etwras, das dem ewigen Leben völlig das Gleich-
gewicht hält. Sein und Nichtsein stehen einander, wenn
von empfindenden Wesen die Rede ist, nicht entgegen,
sondern Nichtsein und höchste Glückseligkeit. Ich glaube.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften