Seite - 204 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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und Einzelheit, gibt in der Liebe sich selbst, Besonderes
und Endliches überhaupt auf; aber Gott gibt alles auf;
er opfert das natürliche selbstische Bestehen aller Krea-
turen sich selbst auf; er ist die alles verzehrende und in sich
auflösende Liebe. Gott ist Person; aber er ist mehr, un-
endlich mehr noch als Person; er ist Person, die lautere
Liebe ist; es muß daher in Gott, sozusagen, einen Ort
geben, wo alle besondern Wesen, alle Kreaturen eins, ver-
zehrt, aufgehoben sind. Die Dinge und alle besondern
Wesen vergehen daher nicht unmittelbar und eigentlich
in der Zeit, sondern in Gott selbst. Der letzte Grund aller
Vergänglichkeit ist Gott. Man könnte daher sagen, daß
der einzig wahre Beweis, daß ein Gott ist, die Zeit ist, denn
sie beweist, daß ein unendliches Wesen ist, in dem alles
verzehrt ist, vor dem alles, was ist, endlich, und durch
den allein es endlich, vergänglich, nicht bestehend ist;
die Zeit ist nur die Erscheinung davon, daß alles in Gott
von Ewigkeit her vergangen ist. Das Endliche hätte
unendliches Dasein und Bestehen, wenn kein unendliches
Wesen wäre. Allein wie wegen der unendlichen Entfernung
der Himmelskörper von unserm Auge ein leuchtender
Körper, der bereits vor einer Reihe unzählbarer Jahre
nicht mehr war, uns erst jetzt in diesem Augenblick, wo er
unserm Auge entschwindet, untergegangen zu sein schei-
nen kann, so fällt dem sinnlichen Menschen nur der sinn-
liche Tod in die Augen, so scheint ihm erst jetzt in diesem
Augenblick, wo er ein Wesen mit seinen sinnlichen Augen
Sterben sieht, dasselbe zu sterben, das doch schon von
Ewigkeit her in Gott gestorben war. Denn 1 der zeitliche2
druck nur auf seine Persönlichkeit legt, ist nichts anderes als
das metaphysische Urbild oder vielmehr Schattenbild des
Menschen, der sich von der Natur losreißt u[nd] dieses los-
gerissene Selbst zu göttlichen, unsterblichen Wesen macht.
Der Gott dagegen, der nicht die Natur von sich ausschließt,
die Natur akzentuiert, nichts andres als das metaphysische
Schattenbild des Menschen, der sich nur in der Verbindung
mit der Natur als Mensch weiß.
1 Gott ist die Liebe. Der Mensch liebt, aber . . . war. Denn:
Der gewöhnlich nur als Tod bekannte Tod ist keineswegs
der wahre, wesentliche Tod; B
1 In B folgt Zusatz:, sinnliche
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften