Seite - 216 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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Wesenheit, Liebe setzt ebensowohl Unterschied als Ein-
heit voraus; wo nur Wesen, da ist nur Einheit, wo nur
Person, nur Unterschied ; nur in der Einheit beider wohnt
die Liebe. Wie der alles empfunden hat, der die Liebe emp-
funden hat1, so weiß2 der alles, der die Liebe erkannt hat;
erkenne sie, und du hast Gott und alles3 erkannt. Was
Liebe sei, weiß daher nur der echte Pantheist, nur er kann
lieben; außer dem Pantheismus ist alles Egoismus, Selbst-
brunst, Eitelkeit, Gewinnsucht, Söldnerei, Abgötterei, da-
her auch der Egoist, inwiefern und -wieweit er liebt, wenn-
gleich der Gegenstand seiner Liebe der allerendlichste sein
mag, insofern ein Pantheist, nicht ein Egoist ist; außer-
dem würde er auch nicht die vergänglichste Empfindung der
Liebe fassen können. Ebenso, wie du über die Bestim-
mung der Persönlichkeit hinausgehst, wenn du sagst: Gott
ist die Liebe, so gehst du über sie hinaus, wenn du be-
hauptest : Gott ist selig oder ist die Seligkeit. Denn Seligkeit
ist nicht innerhalb der Besonderheit, der Unterschieden-
heit, des Ausschlusses, der Persönlichkeit als solcher, son-
dern nur in der Einheit. Aber Gott ist in der Tat nur die
Seligkeit, wenn er zugleich die Seligkeit aller Dinge und
Wesen ist; die Einheit aller Wesen als ein selbständiges
Wesen.4
1 Fehlt in B.
2 In B folgt Zusatz: auch
3 und seine Konsequenz, den Tod, B
4 Liebe sei, weiß . . . selbständiges Wesen.: ist aber die Liebe?
Keineswegs nur konservative Lebenswärme, sondern
gleich auch ein verzehrendes Feuer, keineswegs nur deine
Bejahung, sondern ebenso deine Verneinung. Die Liebe er-
zeugt und vernichtet, gibt Leben und nimmt Leben; sie ist
Sein und Nichtsein in einem, Leben und Tod als ein Leben.
Du bist nur, wenn du liebst, Sein ist erst Sein, wenn es Sein
der Liebe ist, aber zugleich geht in der Liebe dein persön-
liches Dasein, dein abgesondertes Für-dich-Sein zugrunde.
Du bist nur noch in dem geliebten Gegenstand, alles außer
ihm, du selbst ohne ihn bist dir nichts. Die Liebe ist die
Quelle aller Freuden, aber auch aller Schmerzen. Was ist
aber die Freude? Gefühl des Seins, darum selbst Sein, Be-
jahung. Was der Schmerz? Gefühl des Nichtseins, der Ver-
neinung, darum selbst Nichtsein. Heftiger Schmerz zieht
den Tod nach sich. Du hast also die Liebe ebenso als den
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften