Seite - 310 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
Bild der Seite - 310 -
Text der Seite - 310 -
Substanz ihrer selbst unendlich und folglich, wie sich von
selbst versteht; unsterblich. Aber die Seele, inwiefern sie
eins ist mit dem einzelnen Dasein eines Individuums und
von sich selbst daher, wie sie mit sich selbst identische
Substanz ist, unterschieden ist, ist sterblich. Der Geist,
das Bewußtsein, die Vernunft, die Seele ist die in aller
Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit sich selbst gleiche,
absolut mit sich identische Substanz. Man kann daher dem
wahren Begriff streng gemäß nicht sagen: die einzelne
Seele, noch von Seelen im Plural sprechen. Denn die
Einzelheit ist unabtrennlich von der Sinnlichkeit, Körper-
lichkeit und Räumlichkeit. Nur das Sinnliche hat einen
Plural, nur was dem Dasein nach sinnlich, dem Wesen
nach übersinnlich ist, was unter einer Gattung steht, ist
ein Mehreres, Vieles, Einzelnes; von der Einzelheit ist die
Mehrheit unzertrennlich, von jener sinnliches Dasein. Du
kennst daher nicht die Seele, wenn du nur Seelen, eine
einzelne Seele kennst, du kennst sie dann nur so, wie der
berühmte Orbis pictus [gemalte Erdkreis] sie in Bild und
Farbe vorstellt, denn die einzelne Seele kann man fühlen,
malen, greifen, sie ist nichts als das existierende Indivi-
duum, der einzelne Mensch selbst, wie er existiert mit Haut
und Haaren. Aber eben die Seele, wie sie nicht mehr Seele
ist, sondern einzeln, sinnlich existierender Mensch, oder die
Seele in ihrer Bestimmtheit, soviel als sie bestimmte ist,
stirbt. 1 Hat die Seele nämlich ihren Körper gleichsam auf-
gezehrt, hat sie an ihm keinen Nahrungsstoff mehr, ist er
durch den fortwährenden Gebrauch abgenutzt und aufge-
fressen worden, hat sie keine Materie mehr zu ihrem Gegen-
wurf und Gegenstand, woran sie sich tätig erwiese und
durch dessen Aufhebung, Verzehrung und Unterjochung2
sie die ist, die sie ist, Seele, so erfolgt der Tod. Der Körper
ist der Gegenwurf und Gegenstand der Seele, sie ist nur
Seele in der ununterbrochnen Überwindung und Aufhe-
bung dieses ihres Vorwurfs; die Immaterialität ist kein
totes, festes, ruhendes Prädikat, das ihr etwa anhängt,
wie einem Dinge eine Beschaffenheit anhängt, sie ist nur
1 In der Tat, es stirbt nur die Bestimmtheit . . . ist, stirbt.
Fehlt in B.
2 , Verzehrung . . . Unterjochung: und Verzehrung B
310
Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften