Seite - 352 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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nichts ist, wenn das nackte, von allem geschichtlichen Ele-
mente, aller Bestimmung, Determination, Zweckgrenze,
Maß und Ziel entblößte und entledigte1 Individuum, wenn2
das eitle, abgezogne, inhaltslose, nichtige Individuum, also
das Nichts etwas ist und das Etwas, das wirklich determi-
nierte und determinierende Leben, die Geschichte, nichts ist,
nur dann ist allerdings nichts nach dem Tode, wenn das
Nichts nicht auch nach dem Tode3 etwas ist. Daß jene son-
derbaren Wesen und seltsamen Subjekte, die erst nach dem
Leben zu leben gedenken, nicht erwägen, daß sie mit ihrem
Jenseits doch auch gar nichts gewinnen und gutmachen, daß
sie, indem sie ein künftiges Leben setzen, das wirkliche
Leben vernichten. Denn ist nach dem Tode Leben, so ist
notwendig nicht vor dem Tode Leben, eins schließt das
andere aus, das gegenwärtige hebt das zukünftige, das zu-
künftige jenes auf. Im Diesseits, das nur freilich gerade
deswegen wohl vergängliches Diesseits sein mag, weil in
ihm alles vernünftig zugeht, ist es löblicher Gebrauch von
alters her, daß der Kleidermacher nicht die Löcher im Rocke
zunäht durch Löcher, man nicht durch Schaden ersetzt,
durch Schulden bezahlt, durch Diebstahl beschenkt; solche
kommune[n], empirische[n], irdische[n] Gesetze gelten nicht
mehr im und vom Jenseits; das Jenseits — und das allein
ist sein Vorzug und empfehlender Unterscheid vor dem
Diesseits — verstopft die Löcher durch Löcher, erfüllt
durch Entleerung, belebt durch Vernichtung, ersetzt,
indem es nichts setzt, sättigt durch Verhungerung, be-
reichert durch Beraubung. Wer sollte sich auch darüber
wundern können, daß das Jenseits das verrückte und wahn-
sinnige Diesseits ist? Wozu sollte es denn sein, wenn es in
ihm nicht ganz anders zuginge als im Diesseits, wenn man
im Jenseits nicht von den Schulden lebte, die man im wirk-
lichen Leben machte, nicht von dem Nichts der Gegenwart
zehrte? Wozu sollte es denn sein, wenn in ihm nicht das
etwas wäre, was im Diesseits nichts ist?4
1 allem geschichtlichen . . . entledigte: aller geschichtlichen
Bestimmung und Zweckgrenze entblößte B
2 Fehlt in B.
3 In B folgt Zusatz: noch
4 Daß j ene sonderbaren Wesen und seltsamen... Diesseits nichts
ist? Fehlt in B. In A folgt Leerzeile vor dem nächsten Absatz.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften