Seite - 561 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
Bild der Seite - 561 -
Text der Seite - 561 -
schlagendsten Beweise von dem Dasein der Freiheit ge-
ben, daher sie den sogleich als einen Atheisten verschreien,
der ihnen dieses Steckenpferd der Moral und Pädagogik
nehmen will. Mit einem Worte, die Vernunft ist — wenn
anders die Schilderung von den deutschen und franzö-
sischen Frauen, die unlängst eine Fürstin machte, ihre
Richtigkeit hat — keine Deutsche, sondern eine Französin,
die in ihrem Hause eine unsichtbare Herrschaft ausübt
und, ob sie gleich stets in den höhern Regionen des Lebens
schwebt, d. h. sich mit Pohtik, Kunst und Wissenschaft
beschäftigt, doch zugleich mit ihrem kleinen Finger das
ganze Räderwerk des Hauswesens in Bewegung erhält.
Ganz anders ist es dagegen mit dem Herzen, dem
Kebsweibe, das sich der Mensch, wie der Narr meint, im
Rücken seiner rechtmäßigen Ehegattin, zur Befriedigung
seiner Lüste hält. Weil seine Mätresse, notwendigerweise,
nach dem bekannten Erfahrungsgesetze, daß die verbotne
Frucht immer besser schmeckt als die erlaubte, mehr
Reize für ihn hat als seine Gattin, weil sie ebensowohl
seinen Lieblingsneigungen schmeichelt, als sie ihm, wenn sie
einmal in seinen schwachen Stunden ihn ganz unter ihre
Gewalt bringt, bei ihrem leidenschaftlichen, aufbrausenden
Temperamente auf eine höchst derbe und empfindliche
Weise ihre Herrschaft fühlen läßt, so feiert der Mensch
das Herz als seine einzige Gebieterin, nennt es das edelste
Geschöpf, einen wahren Engel auf Erden, rühmt sich
laut, sein Sklave zu sein, und bringt der Vernunft die
gebührende Achtung nur wie einen lästigen Tribut dar,
um es nicht zu einem förmlichen Bruch mit ihr kommen
zu lassen und so den Anlaß zu einem öffentlichen Skan-
dal zu geben. Dabei läßt natürlich das Herz es nicht an
den gewöhnlichen Mätressenkunstgriffen fehlen. Es hetzt
den Menschen gegen die Vernunft auf und schildert sie
ihm zu diesem Zwecke mit der größten Ironie als ein seelen-
loses, kaltes Wesen, als eine Pedantin sondergleichen, als
eine Person, die sich allenfalls zu seiner Haushälterin, aber
nicht zu seiner Frau schicke, die wohl den Kochlöffel,
die Näh- und Stricknadeln führen, aber — und das sei doch
das Haupterfordernis zu einer glücklichen Ehe — einen
Mann nicht unterhalten könne, daher die Liebe, statt als
eine Erleichterung von den irdischen Lasten, vielmehr selbst
561
Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften