Seite - 569 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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waltsam zusammenknebelt, daß er keinen freien Atemzug
mehr tun kann, das, dessen Besitz, wenn er auch sonst
der trockenste, prosaischste Geselle von der Welt ist, ihn
bis zu Tränen rührt und sein Antlitz so freudefeuer-
glänzendrot macht, wie Utzens Gesicht war, als er einst
in einer Hymne zur Gottheit jubelnd aufflog, dessen Genuß
ihn hinauf bis ans Ende der Welt, wo Sein an Nichtsein
grenzt, bis in den siebenten Himmel entzücket und in
ein Meer unergründlicher Wollust versenket, daß ihm
Sehen und Hören vergeht, dessen möglicher Verlust allein
schon ihm Heulen und Zähneklappern verursacht, das —
und wäre dieses Das auch nur die Summe von hundert
Dukaten oder eine neue Konjektur im Eutropius oder die
Erfindung einer neuen Stiefelwichse oder ein Ordensbänd-
chen mit dem Wörtchen „von" — das nur und sonst auch
nicht ein Haar breit mehr ist die Seele des Menschen.
Wohlweislich ließen darum die in ihrer anspruchslosen
Kindlichkeit und Lebensheiterkeit so tief in die Natur des
Menschen blickenden Alten auch noch in den elysäischeil
Gefilden den Dahingeschiedenen die nämlichen Beschäfti-
gungen wie früher im Leben forttreiben; denn der Mensch
wächst mit der Art seiner Beschäftigung, mit den Objek-
ten seiner Wünsche, seiner Lieblingsneigung und Leiden-
schaften so ganz und gar zusammen, daß man nicht mehr
weiß, wer Koch oder Kellerist, daß er von ihnen unzertrenn-
lich wird, daß sie sowenig voneinander zu unterscheiden
sind als zwei Flüsse, wenn sie einmal zu einem Strome sich
verbunden haben.
Aber die erhabne Einfachheit, die anspruchslose Wahr-
haftigkeit der Alten war in die Dauer nicht für die Welt.
Die Welt liebt die Großtuerei und Großsprecherei; sie will
glänzende Versprechungen, auch wenn sie ihr nie erfüllt
werden; sie will wenigstens auf ihre Fragen eine nicht Ja
und nicht Nein sagende, eine1 die Sache aufschiebende und
umgehende, nur um alles nicht eine abschlägige Antwort.
Ein Schuldner, der zur Welt sagt: „Gerne will ich jeder-
zeit deine rechtmäßigen Forderungen an mich befriedigen;
aber diesen Schuldschein, den du mir hier bringst, kann ich
nun und nimmermehr anerkennen; du bist unverschämt,
1 nicht Ja . . . eine Fehlt in C.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften