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diesem Glauben wurzelt sein ungebändigter Schaffungs-
trieb. Die Alten hingegen lassen die Flügel hängen ; ihre
Hoffnungen sind bereits erfüllt oder fehlgeschlagen; sie
stehen auf dem trocknen Boden des Gedächtnisses, der
Erinnerung, die gerade am meisten den Menschen ein-
schläfert und seinen Tätigkeitstrieb lähmt. Mit Ruhe sehen
sie dem Grabe nur dann entgegen, wenn sie wissen, daß
alles noch auf dem alten Flecke steht, daß die Welt so ist
und so bleiben wird, wie sie zu ihrer Zeit war und wde sie
bereits hinlänglich sie kennen und satt haben, wenn sie
denken, daß sie schon das Beste genossen haben, nichts
Besseres nach ihnen kommen wird und kann. Wenn wir
eine geliebte Wohnung mit feuern Gegenständen verlassen
müssen, so wünschen wir, daß in unsrer Abwesenheit nichts
daran verändert werden möge, damit wir auch in der Ent-
fernung uns noch in ihr orientieren können, der Einbildung
nach uns zu Hause finden und, wenn auch nicht mehr den
wirklichen Genuß der Anschauung, doch wenigstens den
trostreichen Gedanken haben: Es ist noch alles beim Alten,
ein Gedanke, der auch dem Menschen den Schmerz über den
unvermeidlichen Verlust seines Lebens erträglich macht.
Sobald also ein neuerungslustiger literarischer Gelb-
schnabel auch nur durch die leisesten Regungen sein Dasein
kundgibt, so steckt sich schon die Welt in aller Geschwin-
digkeit hinter die Alten, die denn auch nichts unter-
lassen, um ihn, mit dem Dekalogus und allen sonstigen
ihnen zu Gebote stehenden Abschreckungsmitteln in der
Hand, von seinem in ihrer Meinung tollen Unternehmen
abzubringen und zu bewegen, daß er sich nach der Weise
seiner Väter ernähre und statt der Studien ein ehrliches
bürgerliches Geschäft ergreife. Die Welt weiß wohl aus
tausendfältiger Erfahrung nur zu gut, daß der Gelbschnabel,
verloren in Entzücken über die herrliche Stimme seines
Genius, die, nur ihm vernehmbar, labenden Trost und Mut
seiner Brust einflößt und um so magischer auf sein Gemüt
wirkt, aus je größerer Entfernung sie zu ihm dringt, von
den gewaltigen Donnerflüchen, die sie über ihn schleudert,
ganz ungerührt wie ein Tauber dastehen bleibt, daß alle
Mittel, die sie anwendet, um ihn aus dem Stande eines
Freien, eines ungebundnen homme de lettres [Gelehrten]
in den Notstall ihrer kümmerlichen Beschränktheit einzu-
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften