Seite - 585 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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Pro secundo [zweitens] ist der Geist — und das ist noch
weit schlimmer, ich trau' mir's kaum zu sagen, es stehen
mir fast die Haare zu Berge, oh, es ist ein schreckliches
Geheimnis, denkt nur! — ein natürliches Kind, eine Frucht
der Liebe, und zwar von — nun die Namen wollen wir ver-
schweigen. Was aber das heißen will und auf sich hat, ein
natürliches Kind zu sein, das wissen wir alle leider nur zu
gut. Daher nahmen einst die Freunde des Erasmus An-
stand, einzugestehen, daß er ein uneheliches Kind sei, aus
Besorgnis, durch dieses Faktum selbst seinen schriftstelleri-
schen Namen in Mißkredit zu setzen und seinen Gegnern
die gefährlichste Waffe in die Hände zu geben. Denn ob-
gleich bereits Pontus Henterns eine gelehrte Abhandlung
über die natürlichen Kinder geschrieben hat und eine Menge
berühmter Männer darunter aufzählt, so hat die Welt doch
noch immer ihre alten Vorurteile, was uns übrigens nicht
im mindesten in Verwunderung setzen darf, da die Welt
ein so schwaches Gedächtnis hat, daß sie schon im 19. Jahr-
hundert nicht mehr weiß, was ihr im 18. ihre großen Lehrer
beigebracht haben und daher, wie Albertus Magnus, wenn
sie einmal aus einem Esel ein Philosoph wurde, doch hinten¬
nach immer richtig wieder aus einem Philosoph ein Esel
wird, weshalb der Gedanke Luthers: „Die Welt ist wie ein
besoffener Bauer, der, wenn man ihn auf der einen Seite
auf den Gaul hinaufhebt, auf der andern wieder hinunter-
fällt", auch in diesem Falle seine volle Richtigkeit hat.
Wie eine Schrift, wenn in ihr gleich die respektive Materie
aufs richtigste und trefflichste erörtert und dargestellt ist,
von Gericht zurückgewiesen wird, wenn eine Formalität
übersehen wurde, so werden die Kinder von der Welt zurück-
gesetzt, die nicht in der gehörigen Prozedur, so daß we-
nigstens schon dreimal vor ihrer Geburt der Pfarrer von
der Kanzel herab die versammelte Gemeinde gefragt hat,
ob niemand eine Einsprache gegen sie zu tun habe, zuwege
gebracht worden sind. Ja, die Liebe ist, als die heilige
Maria, Muttergottes des Geistes,1 bei der Welt, wie bei den
geldspekulierenden Engländern, so schlecht angesehrieben,
daß sie selbst die Ehen, die sich auf sie gründen, soviel, als
in ihren Kräften steht, zu hintertreiben und — wenn sie
1 , als die . . . Geistes, Fehlt in C.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften