Seite - 588 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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flecken in der Serviette war, womit er sich den Mund
abwischt, wenn er ihm nach dem guten Bissen seiner
Mitmenschen wässerig wird,1 auf die Urelemente seiner
letzten Fäden reduziert und wie ein schweres Rechnungs-
exempel zu seiner vollen Befriedigung aufgelöst; denn er
hat aus dem Beutel des andern die Beruhigung geschöpft,
daß er das auch kann, daß er ebensoviel, wenigstens nicht
viel weniger hat. Und wenn er auch durch sein sorgfältiges
Quellenstudium das schmerzliche Resultat herausgebracht
hat, daß sein Nachbar einen viel größeren Wechsel von
Hause bezieht, so ist er dennoch jetzt bei weitem beruhig-
ter als vorher. In der genauen Kenntnis von dem Etat
seines Vermögens hat er ihn gewissermaßen in seiner Ge-
walt, hat er sich gleichsam zu dem geheimen Kontrolleur
seiner Ausgaben aufgeworfen und ist, wenn auch nicht sein
Mitgenießer, doch sein — freilich nur höchst subtiler und
ide[e]ller2 — Mitbesitzer geworden. Übrigens ist dieser
letztere Fall eigentlich nur eine Ausnahme von der Regel,
der wir daher gar keine besondere Bedeutung einräumen
dürfen. Das Maß der Menschentaxation richtet sich im
Normalzustande nach den verschiedenen Ständen und den
verschiedenen Graden der Armut und des Reichtums, in-
dem sich der Arme nur wieder mit dem3 Armen, der Be-
mittelte mit den Bemittelten, der Reiche mit den Reichen
vergleicht, so daß sich die Differenz von Mehr und Weniger
auf ein Minimum reduziert, der Taxator daher immer zur
Belohnung für seine mathematischen Studien das freudige
Bewußtsein mit nach Hause bringt: Soviel hab' ich auch,
soviel bin ich auch, und, wenn ihn der andere auch an
Aufwand überbietet, doch von der drückenden Last des
Neides sich dadurch völlig befreien kann, daß er genau bis
auf die Minute den Zeitpunkt zu bestimmen weiß, wo die
Silberquelle zu fließen aufhört.
Meine Leser werden mir daher vollkommen Glauben
schenken, wenn ich ihnen sage, daß die Welt fast desperat
darüber ist, daß sie die Ressourcen noch nicht entdecken
konnte, aus denen der Geist die Mittel zu seinen enor-
1 , der ihm vorher . . . wässerig wird, Fehlt in C.
2 idealer C
3 den C
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften