Seite - 589 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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men Depensen schöpft. Zwar hat sie sich zu verschiedenen
Malen, um ihre qualvolle Neugierde zu beschwichtigen,
eingebildet, der Geist lebe, wie ein Tagelöhner, von der
Händearbeit seiner fünf Sinne. Aber das wollte ihr eigent-
lich selbst nie so recht zu Kopfe gehen. Da sie selbst ihr
tägliches Brot allein von den fünf Sinnen bezieht und
auf diesem Felde ganz zu Hause ist, so mußte sie bald
auf die Konjektur geraten, daß der Geist ein Partikulier
sei, der wenigstens einen großen Teil seiner Auslagen aus
seinem Privatvermögen bestreite, eine Konjektur, in der
sie hauptsächlich durch den Umstand bestätigt wurde,
daß sie sehr häufig unter den Münzen, die er ausgab, zu
ihrem größten Erstaunen solche bemerkte, die aus einem
ganz fremden, ihr völlig unbekannten Stoffe bestanden
und mit solchen sonderbaren hieroglyphischen Charakte-
ren und Figuren bezeichnet waren, daß sie, ihrer ange-
strengten diplomatischen, numismatischen und archäolo-
gischen Nachforschungen ungeachtet, weder den Sinn noch
den Ort noch die Zeit des Gepräges herausbringen konnte.
Aber damit war sie ebensoweit wie im Anfang. Die Frage:
Woher hat denn der Partikulier sein Vermögen?, war nicht
gelöst. Es blieb ihr daher nichts übrig, als den Geist als
einen Zauberer und Hexenmeister zu verketzern, wie sie
es einst mit dem Papst Sylvester II., Albertus Magnus,
Roger Baco und andern machte, aus seinem vertrauten Um-
gange mit den Teufeln und Dämonen die Quelle seines
Reichtums abzuleiten. Leider konnte auch dadurch nicht
ihre Neugierde und unüberwindliche Taxationssucht in
die Dauer befriedigt werden. In ihrem neuen Seelenjammer
nimmt sie darum jetzt zu folgendem Mittel ihre Zuflucht.
Sobald ein Schriftsteller mit Ideen auftritt, vor deren
furchtbarer1 Größe und Majestät der große Haufe in das
zermalmende Bewußtsein seiner Nichtigkeit versinkt, läuft
sie zu seinen ehemaligen Lehrern und Schulkameraden,
sogar, wenn sie noch am Leben ist, zu der Amme, die ihn
als Wickelkind säugte, und bittet sie dringend, ihr doch aus
ihrer Not zu helfen und einige aufklärende Notizen über
diesen Menschen zu erteilen. Um von dem erdrückenden
Gefühle seiner Superiorität loszukommen, leitet sie dann
1 Fehlt in C. Im Original AjB: furchtbaren
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften