Seite - 590 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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seine Eigenschaften aus diesen zusammengebettelten Noti-
zen auf die nämliche komische Weise ab, wie Helvetius aus
dem Umstände, daß einst ein kalekutischer Hahn Boileau
in seiner Kindheit an einem empfindlichen Körperteile ver-
letzt habe, den Mangel an Gefühl, den er in seinen Gedich-
ten findet, sein Zölibat, die Satire gegen die Weiber und
seine Abneigung gegen die Jesuiten ableitet, weil diese die
kalekutischen Hähne zuerst nach Frankreich brachten.
Wenn sie also z. B. von einem großen Dichter erfahren hat,
daß er bei der Verfassung seiner Gedichte Wein getrunken
hat, weil nicht alle Dichter eine solche genügsame Natur
haben, daß sie sich, wie Seume, bei Wasser, Butterbrot und
Kartoffeln in ihrer poetischen Begeisterung erhalten kön-
nen, so erkundigt sie sich, mit einer Rechentafel in der Hand,
genau darnach, wieviel Wein, welche Sorten und von wel-
chem Jahrgang er getrunken hat, klassifiziert dann seine
Werke nach den verschiedenen Sorten und Jahrgängen und
leitet auf ganz natürliche Weise die Stärke und das Feuer
seiner Empfindung von dem starken Wein ab, den der
Dichter genossen. Freudetrunken frohlocket die Menge über
diesen Fund. Das Übergewicht, das der große Geist sie1
fühlen ließ, drückt sie nicht mehr; sie hat ein gemeinschaft-
liches Maß zwischen sich und ihm gefunden; sie sagt ent-
zückt zu sich selbst: Ha, das kann ich auch, ich darf
nur brav Champagner und Burgunder trinken. Die Freude,
den Geist wie eine ponderable Masse in einer Weinflasche
aufgefangen zu haben, währt jedoch auch nicht lange.
Nur zu bald macht die Welt die höchst unangenehme
Erfahrung, daß unzählig viele sich mit Champagner und
Burgunder benebeln dürfen, ohne dadurch auch nur den
leisesten Anflug von Poesie in den Kopf zu bekommen,
und so mancher Dichter, der nie einen Tropfen Wein kostete,
ebenso feurig sang als ein anderer, der täglich die stärksten
Weine zu sich nahm, und diese Erfahrung stürzt sie, ach,
schonungslos in den Abgrund ihrer anfänglichen Trostlosig-
keit über ihre unbefriedigte Neugierde zurück. Sie kommt
dem Geiste nicht auf die Spur. Er bleibt ihr ein ewiger
Dorn im Auge.
Wenn uns jemand von einem Dritten eine eben nicht
1 Im Original A, B und C: ihr
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften