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Seien wir aber deswegen nicht ungerecht gegen die Welt!
Sie kann nicht anders.1 Je mehr Spielraum der Geist zur
Entfaltung und Betätigung seiner Wunderkräfte bekäme,
desto mehr festes Land würde er mit der gewaltigen Flut
seiner Fülle hin wegspülen und so den Boden beträchtlich
vermindern, auf dem die große Masse die Subsistenzmittel
ihrer Existenz gewinnt, und eben die große Menge hat die
Welt zu versorgen. Darum kommen so selten große Geister.
Wären sie häufiger, so kämen Unzählige um den einzigen
Halt ihres Lebens — die Brauchbarkeit und Notwendigkeit
ihrer Existenz, da eine große Masse von Menschen mit Weib
und Kind mehrere Jahre lang von dem ganz anständig
leben kann, was in einem Abend ein einziger großer Geist
aufarbeitet. Erkennen wir hierin vielmehr die tiefe Weis-
heit, die die Welt regiert und der sie parieren muß, sie mag
wollen oder nicht. Es liegt offenbar in ihrem Plan, so viel
als möglich Wesen nicht nur zum Dasein, sondern auch —
was eigentlich eins ist — zu den Genüssen und Freuden
des Daseins zuzulassen. Die Freude am Dasein liegt aber al-
lein in dem Bewußtsein von dem Werte des Daseins.
Die Kräfte und folglich die Arbeiten sind deshalb in der
Welt so zerteilt und vervielfältigt, daß um so mehr Men-
schen das Bewußtsein von ihrem Werte, ihrer Wichtigkeit
und Nützlichkeit haben; je kleiner die Portionen, desto
größer die Zahl der Genießenden. Mit Recht wurden
von jeher die großen Geister von dem Haufen beneidet,
geschmäht, verleumdet, verfolgt; denn er wußte nur zu
gut, daß sie seine Freuden- und Ruhestörer sind, sein
Dasein beeinträchtigen und selbst gefährden. Unglück
war daher auch das Anteil fast aller großen Männer, nur
mit dem Bewußtsein ihrer Größe entschädigte sie die
göttliche Weisheit für die erlittene Schmach und den
Verlust irdischer Güter, denn sie bestimmte sie eigentlich
nur dazu, den Haufen zu stimulieren, daß er alle seine
vereinzelten Kräfte zusammenrafft und verbindet, um die
lästige und kostspielige Erscheinung eines neuen großen
Geistes zu verhüten. Das geniale Wesen des Geistes paßt
eben einmal durchaus nicht in die Welt. Sich selbst fühlend,
glücklich und zufrieden ist der Mensch nur, solange er
1 Sie . . . anders. Fehlt in C.
43 Feuerbach 1 595
Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften