Seite - 607 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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Kankam: Quanquam zu sagen? Kann es uns, sage ich,
noch wundern? Oh, nein! Nicht wahr? Wir sind jetzt ganz
im reinen und klaren. Wir brauchen über diesen Artikel kein
Wort mehr zu verlieren.
Bürdet mir nicht zuviel der Welt auf, das bitte ich mir
höflichst aus, ihr Herren Schriftsteller! Euer Wohltäter,
der Geist, ist zugleich euer wahrer Missetäter, der euch bei
weitem mehr zusetzt als die Welt. Ich will nicht reden von
der Hypochondrie und den sonstigen Übeln, die euch die
sitzende Lebensart, die er euch zu führen nötigt, ver-
ursacht. Seit die Philologie dem Budäus eine zwanzig-
jährige Krankheit zuzog, ach, schon seit viel längerer,
seit undenklicher Zeit sind die schädlichen Folgen des
Studierens so weltbekannt, so ausgemacht wie die Erb-
sünde seligen Andenkens. Ich will nur reden von euerm
innern Hauskreuz; denn dieses ist nicht so offenkundig.
Was ist es nicht für ein widerwärtiger Zustand, wenn ihr
stunden-, ja, oft tagelang mit der Feder in der Hand im
Antichambre warten müßt, bis es dem Geiste, diesem vor-
nehmen Herrn, einmal beliebt, bei guter Laune zu sein
und euch Audienz zu geben! Jeder Taglöhner ist Freiherr
innerhalb seiner vier Wände, König in seinem Gebiete,
er kann seine Arbeit nach Willkür anfangen und enden,
unterbrechen und wieder fortsetzen; nur der Schriftsteller
ist nicht Herr in seinem Hause, lebt auch hier in der un-
glücklichen Abhängigkeit; sein tägliches Brot ist ein
Gnadenbrot, das sein Gebieter, wenn er will, ihm entziehen
kann1. Er ist ein armer Landmann; was hilft ihm aller Fleiß,
alle Anstrengung, wenn ihm nicht die Sonne des Geistes
scheint? Wie muß sich der Schriftsteller oft abmartern, bis
er gerade den seinen Gedanken entsprechenden Ausdruck
findet! Wie störrig, wie eigensinnig ist nicht oft der Geist!
Wie oft bleiben nicht die Mittel, die ihr aus allen euren
Leibes- und Seelenkräften anwendet, um ihn zu erweichen,
erfolglos! Wie sauer kam manchem Dichter oft nur ein
einziger Vers zu stehen! Denkt nur an Euripides, der sich
einst bitter darüber beklagte, daß er innerhalb drei Tagen
nicht mehr als drei Verse zustande gebracht habe, an
1 ; sein tägliches . . . kann Fehlt in C.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften