Seite - 610 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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wohl; natürlich : Euer Kopf wird dabei ziemlich echauffiert,
ihr werdet wohl gar ganz wonnetrunken in dem Gefühl,
Schöpfer zu sein, und in diesem exaltierten Zustande
nehmt ihr eure Gebrechen nicht wahr. Aber um so emp-
findlicher sind die Nach wehen, wenn ihr fertig seid. Es
ist euch jetzt, als wäret ihr von einem schönen Traume er-
wacht, nur um desto1 tiefer und gründlicher euer Elend
zu empfinden. Die fertige Schrift hat allen Reiz verloren;
sie ist für euch ein totgebornes Kind. Ihr glaubt dann, bei2
eurem einzigen Gönner und Schutzherrn auf Gottes weiter
Erde, dem Geiste,3 in Ungnade gefallen zu sein, und in
diesem Gefühle der Leere, in diesem euern Wahne, von
dem Wesen verlassen zu sein, um dessen willen es sich allein
der Mühe verlohnt, Tag für Tag die geschmacklose Wasser-
suppe des Lebens hinunterzuschlürfen, drängt sich alle Pein
zusammen, die nur immer der Mensch als ein geistiges
Wesen empfinden kann, erlebt ihr in euch den schrecklichen
Zustand des verzweifelnden Selbstmörders. Und welch ein
peinigender Schmerz ist es nicht für euch, selbst schon
mitten im besten Feuer der Arbeit, wenn euch oft eure
kostbarsten Gedankenstoffe, sowie ihr nur mit dem Pfropf-
zieher der Feder die Weinflasche des Geistes öffnet und sie
der Atmosphäre der Außenwelt aussetzt, schon von ihrer
Güte verloren zu haben, vielleicht ganz verdorben zu sein
scheinen! Wie glücklich sind doch die Menschen, die nicht
der Kitzel des geistigen Fortpflanzungstriebes peinigt, die
nichts wissen von den Schmerzen des Geistes, von den
Schmerzen, die die Idee der Vollkommenheit, das Bewußt-
sein ihrer Unerreichbarkeit in der Seele erzeugt! Ach,
und gerade je vollkommner, je edler ein Wesen ist, desto
schwerer gebiert es seinesgleichen. Die Blattlaus kann in
einem Sommer 24 Millionen Junge gebären; dem edlen
Menschenweibe kostet oft eine einzige Geburt schon das
Leben! Oh, ich möchte um alles in der Welt kein Schrift-
steller sein ! Ich möchte keinem solchen Herrn dienen, wie
der Geist ist, der es euch nicht einmal dankt, wenn ihr
euch seinetwegen so abquält und abhärmt, im Gegenteil
1 Im Original A/B: so Hier berichtigt nach C.
2 In C folgt hier bereits: dem Geiste,
3 dem Geiste, Fehlt hier entsprechend in C.
6io
Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften