Seite - 611 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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seine größte Freude dabei hat, wenn ihr vor Scham, vor
Ekel und Verzweiflung vergehen möchtet, ja sogar selbst
der Urheber aller Qualen ist, die seine treusten, ergebensten
Diener und Verehrer auszustehen haben. Denn nur er ist
es, dem ihr es nie recht machen könnt, der euch eure Vater-
freuden raubt und in einer beständigen Unruhe und Un-
zufriedenheit mit euch selbst erhält, auf daß 1 ihr in uner-
müdlicher Tätigkeit von einem Werke zum andern schreitet,
um immer wieder durch einen neuen Fehler den ältern
gutzumachen, den Teufel durch den Teufel zu vertreiben.
Der hebe Himmel bewahre uns vor Pest, vor Hungersnot,
vor Krieg und Feuersbrunst, vor allem aber vor Geist!
Das Leben ist der Güter höchstes nicht,
Der Übel größtes aber ist der Geist.
Oh, gewiß, der Geist ist ein schadenfroher Kobold, ein
gottloser Schalk.2 Selbst von den Übeln, die ihr der Welt
Schuld gebt, ist er der eigentliche Urheber. Die Welt ist
nur sein blindes Werkzeug; wo sie in ihrem eigensten
Interesse zu handeln glaubt, arbeitet sie nur im Interesse
des Geistes. Die Steckbriefe, mit denen sie die Schrift-
steller verfolgt, sind ihre Bellerophonsbriefe.3 Der Geist
kennt nämlich nur zu gut den Menschen, er weiß ebenso
a priori als a posteriori, daß er im ganzen den Charakter
jenes italienischen Künstlers hat, der immer erst ein-
gesperrt werden mußte, wenn er einmal Gebrauch von
seinen Talenten machen sollte, daß die Menschen geprellt
werden müssen, um in seine Dienste zu treten. Darum öffnet
der Geist die Pandorabüchse und schickt dem einen dieses,
dem andern jenes Kreuz über den Hals, wie es eben, je
nach dem Charakter und der Individualität des Empfängers,
geeignet ist, ihn zu geistiger Tätigkeit zu sollizitieren.
Mancher hätte schwerlich eine entschieden ideale Tendenz
bekommen, wenn ihm nicht schon in früher Jugend ein
Gegenstand, an dem er mit ganzer Seele hing, irgendwie ent-
rissen worden wäre, denn nur dadurch wurde er gezwungen,
nicht an seine fünf Sinne als die letzte Instanz zu appel-
lieren, sondern vermittelst einer wahren, in solchen Fällen
1 auf daß: damit C
2 Oh, gewiß . . . Schalk.: Jawohl, der Übel größtes ist der
Geist! C
3 Die Steckbriefe . . . Bellerophonsbriefe. Fehlt in C.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften