Seite - 619 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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Punkte wenigstens, fast ebenso sonderbar vorkommt wie
die des Ali Pascha, wenn er aus den kleinen Ohren, den
gekräuselten Haaren und den kleinen weißen Händen des
Lord Byron schloß und zu erkennen versicherte, daß er
ein Mann von hoher Geburt wäre. Allein ungeachtet ihrer
Lächerlichkeit können doch viele Menschen es nicht unter-
lassen, dergleichen Schlüsse bei jeder Lektüre zu machen.
So werden manche übrigens gewiß sehr respektable Leser
dieser Aphorismen zweifelsohne schließen, daß ihr bescheid-
ner Verfasser, weil er in einem fort bis zum Ekel über nichts
als die Bücher schreibt, ein Bücherwurm comme il faut [wie
es sich gehört], ein Mensch ist, der sich vor lauter Lesen
krumm und lahm gesessen hat, niedergedrückt von der
Last seiner Quartanten und Folianten nur so daherkeucht,
ein warnendes Exempel von den zerstörenden Folgen der
Ausschweifungen im Gebiete der Büchergelehrsamkeit.
Aber es tut ihm sehr leid, ihnen versichern zu müssen,
daß sie sich in einem gewaltigen Irrtume befinden, indem
er es, im Gegenteile, praktisch und theoretisch mit dem
englischen Philosophen Hobbes hält, der nur sehr gute, aber
ebendeswegen auch sehr wenige Bücher las und von sich
selber sagte, daß er, wenn er ebensoviel gelesen hätte wie
andere Gelehrte, ebenso unwissend wie sie geblieben wäre,
und unbedingt die Worte Lichtenbergs unterschreibt, wenn
er sagt: „Ich glaube, daß einige der größten Geister, die
je gelebt haben, nicht halb so viel wußten als manche
unserer mittelmäßigen Gelehrten. Und mancher unserer
sehr mittelmäßigen Gelehrten hätte ein größerer Mann wer-
den können, wenn er nicht soviel gelesen hätte." Um es
jedoch auch bei diesen seinen hoch verehrlichen Lesern
nicht ganz und gar zu verderben und nicht den Verdacht
auf sich zu laden, als wollte er sie etwa absichtlich hinters
Licht führen, sieht sich der Verfasser, zuvorkommend die
Hand zur Versöhnung darbietend, auf der Stelle zu folgen-
den Konzessionen und Konfessionen bereit. Er gesteht dem-
nach offenherzig ein, daß er blutige Tränen darüber weinen
möchte, daß die Natur ihn so stiefmütterlich bedacht und
nicht auch mit solchen schönen, die Lektüre so erleichtern-
den und befördernden Gaben ausgestattet hat wie den Car-
danus und die beiden Skaliger, die ohne Licht bei der Nacht
bloß vermittelst ihrer hell leuchtenden Augen sehen konn-
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften