Seite - 632 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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im reinen, es ist alles gottlob abgetan; ich bin frei von den
Fesseln, die mich bisher von dir trennten; ich habe alles
verkauft, was ich noch in der Stadt an überflüssigen
Möbeln und sonstigen Sachen besaß, und für den Erlös
mir eine herrliche, für uns und unsre Studien ganz geeig-
nete Wohnung auf dem Lande angeschafft. Komme daher
so bald und schnell, als du nur kannst; nimm Extrapost,
ich will schon die Kosten dafür auslegen, und geniere
Dich ja nicht wegen Deiner Bücher und sonstigen Schreib-
materialien; nimm ihrer so viele mit, als Du willst; es
ist Platz genug; ich habe schon dafür gesorgt1. Oh, wie
glücklich werde ich sein, wenn ich Dich wieder besitze,
oh, Du mein bester, mein einziger Freund, der Du mich
allein verstehst und erkennst, mit dem ich allein ein wahr-
haft vernünftiges Wort sprechen, dem ich ohne Scheu
meine Seele anvertrauen kann, der Du so ganz mit meinem
Wesen übereinstimmst! Darum eile, oh Bester, in meine
Arme! Ich vergehe vor Verlangen, Dich wiederzusehen.
Dein anderes Ich." — Also korrespondiert in dem echten
Autor der Mensch mit dem Schriftsteller.
Tags darauf gibt jedoch der Mensch einen neuen Brief
an den Schriftsteller auf die Post. Auf seinem Umschlag
stehen die Worte „Recommande [Einschreiben]", „Citissimo
[Sehr eilig]" dreimal unterstrichen. Sein Inhalt lautet wie
folgt. „Lieber Freund! Schon wieder ein Brief! Und zwar ein
Brief, in demich Dich dringend ersuche, noch nicht auf unsern
neuen Musensitz zu kommen, wenigstens noch ein paar Tage
auszusetzen. Welch' eine plötzliche Veränderung!, wirst Du
ausrufen, bedenklich den Kopf darüber schüttelnd, welch'
ein sonderbarer Widerspruch! Oh, ich selbst fühle ihn leider
nur zu gut, als daß ich mich nicht deswegen über mich
selbst ärgern, ja schämen sollte. Aber siehe, so ist der
Mensch. Wenn er mit dem einen Fuß aus der Schlinge ist,
so kommt er richtig wieder mit dem andern hinein. Warum
muß er denn aber auch gerade zwei Beine haben? Wenn
er mit dem einen in dem Morast steckt, wozu hat er das
andere, als um sich vollends noch in ihn hineinzustampfen ?
Zweifle nicht, daß es die volle Wahrheit ist, wenn ich
1 ; ich .. . gesorgt Fehlt in C.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften