Seite - 633 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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Dir gestern schrieb, ich verginge vor Verlangen nach Dir.
Ich habe in der Tat alle die Fesseln abgeworfen, die mich
bisher hier in der Entfernung zu Dir zurückhielten. Es
ist mein ganzer Ernst, nur Dir zu leben. Es kostet mir
keinen Kampf, alles andere um Deinetwillen hintanzu-
setzen ; denn was habe ich, wenn ich Dich nicht habe?
Aber, ach, noch etwas habe ich auf meinem Herzen.
Ich machte Dir bisher ein Geheimnis daraus. So sehr
mich auch deswegen mein Gewissen peinigte, so schwer
es mir auch auf dem Herzen lastete, ich konnte es doch
nicht über mich bringen, es Dir einzugestehen. Ich fürchtete
dadurch Dich, meinen besten Freund, zu kränken, wo
nicht gar zu verlieren. Wie oft war es mir schon auf der
Zunge! Aber immer drängte es sich unwillkürlich wieder
in mich zurück und warf sich zu meiner größten Qual wie
eine schwere Krankheit auf meine inneren Teile. Auch
jetzt ist es nur die Notwendigkeit, die mir das Geständnis
abzwingt.
So höre denn! Es ist schon lange, ja beinahe nur ein
paar Jahre später, als ich mit Dir Freundschaft schloß,
daß ich in der Stadt, die ich eben jetzt zu verlassen ge-
denke, mit Heloise N. N. — der Name wird Dir ja gleich-
gültig sein — das Band inniger Liebe knüpfte. Oh, mache
mir deswegen keine bittern Vorwürfe! Ich kann nichts da-
für, ich bin ganz unschuldig daran. Du weißt es ja selbst:
Ich ging sonst so frohen, leichten Sinnes dem Strome des
Lebens entlang dahin; keine Erscheinung band den flüch-
tigen Wanderer; ich sah Woge für Woge gleichmütig
verrinnen, und wenn ich auch bei einer einen Augenblick
nachdenkend verweilte, sie war kaum vorüber, so jubelte
ich schon mein Loblied auf die Vergänglichkeit der Dinge
und hatte eine wahrhaft kindische Freude daran, daß der
Strom alles so leichtfertig hin wegspült; ich erblickte
in dem Spiegel seiner wechselnden Wogen nur den Himmel
meiner Geistesschöpfungen. Aber als ich sie erblickte — oh,
hätte ich sie nie erblickt! Ich würde nie in diesen unseligen
Zwiespalt geraten, nie aus dem Himmel der Eintracht,
den ich nur in der unbedingten Hingebung an Dich genoß,
herabgestürzt sein —, da war es um meinen ungebundenen
Sinn geschehen; ich konnte nicht mehr fort von ihr; meine
Blicke weilten unverwandt nur auf ihr; sie sehen, sie
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften