Seite - 637 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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fort — ,du brauchst dich meiner nicht zu schämen, werde
ich auch anfangs in seiner Nähe etwas schüchtern und
verlegen sein, wenn er denn wirklich ein so gar erschrecklich
hohes geistiges Wesen ist, als Du aus ihm machst; nur
Geduld, mit der Zeit werde ich mich schon in ihn zu schik-
ken wissen und ihm beweisen, daß ich auch nicht auf den
Kopf gefallen bin'. Auch muß ich ihr wirklich das Zeugnis
geben, daß sie manchmal so gescheut spricht, daß ich
ganz irre und konfus werde und meine, ich hörte Dich
selber reden. Doch genug von ihr. Ich habe meinen Zweck
erreicht, wenn ich Dir eine solche Vorstellung von ihr
beigebracht habe, die Dein Urteil über meine menschliche
Schwachheit mildern kann und wird. In der süßen Hoff-
nung, daß Du mir meinen Fehler verzeihen und nach wie
vor Deine Freundschaft schenken wirst, nenne ich mich
Deinen wahren und bleibenden Freund."
Auf diesen Brief antwortete der Schriftsteller dem Men-
schen mit umgehender Post: „Geliebter Freund und Mensch!
Es ist gleichgültig, von der Welt verkannt zu werden, ja,
man kann sogar seinen Gefallen daran haben, sich absicht-
lich zu mystifizieren, um ihr anders zu erscheinen, als man
in der Tat ist, aber schmerzlich, ja, wahrhaft schmerzlich
ist es, auch von den wenigen, denen wir uns freundschaft-
lichst an- und aufschließen, verkannt zu werden. Eine
traurige Bestätigung dieser Wahrheit war mir daher Dein
letzter Brief. Ja, der erste Eindruck, den er auf mich
machte, war so heftig, daß ich auf immer mit Dir hätte
brechen mögen, um mich in das Heiligtum meiner See-
le zurückzuziehen und mich in mich selbst zu verschlie-
ßen. Wie hätte ich es mir einfallen lassen können, daß auch
nach so langem, so vertrautem Umgang Dir mein wahres
Wesen noch so fremd geblieben ist! Welche gräßliche[n]
Vorstellungen! Wie magst Du die Liebe eine menschliche
Schwachheit nennen! Wie kannst Du den Menschen und
den Schriftsteller so auseinandertrennen! Der Mensch
hat kein Geheimnis vor dem Schriftsteller. Weil ich von
dem Schein des Lebens abstrahiere, glaubst Du, ich ab-
strahiere auch von seinem Wesen? Ich werfe die Schale
der Welt1 weg, um desto besser ihren innern göttlichen
1 In C folgt Zusatz: nur
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften