Seite - 51 - in Habsburg als Touristenmagnet - Monarchie und Fremdenverkehr in den Ostalpen 1820–1910

Bürgertum 51 sowie„Zwischenmilieus“, zudenendasmittlereBeamtentum,Handwerkerund diestädtischorientiertewohlhabendeLandbevölkerunggehörten.174 DievorliegendeForschungsarbeitdefiniertdas„Bürgertum“,alsodieVertreter vonBildungundLeistungimständisch-gesellschaftlichenSinne,vorallemüberdie verbindenden„bürgerlichen“LeitwerteunddieKultur.Die Identitätsbildungund FormierungdesBürgertumsinWienwareinnichtlinearerProzess,geprägtvon DiskrepanzenundRückschritten.DiebürgerlichenTugendenOrdnung,Fleißund Sparsamkeitwurdenbereits inderFrühaufklärungerweitertdurchPflichtengegen- überdemStaat,denMitmenschenundgegenübersichselbst.Dadurchentwickelte sicheinsozial identitätsbildenderundvorbildhafterVerhaltenskodex. Indiesem VerhaltenskatalogdominiertenpersönlicheEigenschaftenwieRechtschaffenheit, Wohltätigkeit,LeistungundberuflicheSachkompetenzsowieweitereTugenden. AbEndedes 18.  Jahrhundertswar dasZiel dieHeranbildung von eigenverant- wortlichen, autonomhandlungsfähigenMenschen.DasErlernenundBefolgen derbürgerlichenTugendenwarensowohl fürdieSelbstverwirklichungals auch alsVoraussetzung fürein funktionierendesStaatswesenBedingungen.Zugleich entwickeltensich langsamauchmehrBildungsmöglichkeitenfürFrauen.175 ImVormärzentstandenneueGruppenvonUnternehmern,Freiberuflernund Beamten,derenobereRängesichüberOrganisationenundÄußerungenals„zwei- teGesellschaft“konstituierenkonnten.DiesebildetevorallemabderMittedes 19.  JahrhundertsdieElitedesaufsteigenden,liberalenundkaisertreuenBürgertums. BezeichnendfürdieseBürgerwareneinAufstiegauseigenerKraft,Engagementfür dasGemeinwesen,dieBefürwortungdesFortschritts, einemessbare,überdurch- schnittlicheLeistung,öffentlichessozialesEngagementundWohneigentum.Im nachrevolutionärenWienzwischen1850und1860, indemdasalteBürgerrecht unddasBürgermilitär ihreursprünglicheBedeutungverlorenhatten,herrschte eine „bürgerliche“ Staatspraxis, inderdie bedeutendstenMinister undBeamte „Bürgerliche“waren.176 Die beruflicheVielfalt der „zweitenGesellschaft“war auch einErgebnis der schonangesprochenenfreizügigenNobilitierungspolitikderösterreichischenMon- archen.DieVerleihungvonständischenPrivilegienanNichtadeligesteigertenicht nurderenSozialprestige, sondernverhalf zudemzuneuenökonomischenMög- lichkeitenundEinfluss.DasStrebendernichtadeligenBürgerlichennachhöfischer AnerkennunginFormvonStandeserhebungenbezeugt ihr InteresseamHofund ihrNacheifernder„erstenGesellschaft“.ErfolgreicheGeschäftsleute (Wirtschafts- bürger)verzichtetenkaumaufdieChancen,dieeineNobilitierungmitsichbrachte, 174 Stekl,Hannes:BürgerlicheJugendinAutobiographien, in:Stekl,2004b,S.258;Bruckmüller,1992, S.44. 175 Stekl,Hannes:AmbivalenzenvonBürgerlichkeit, in:Stekl,2004a,S.141–148. 176 Bruckmüller,1992,S.46–51,56. https://doi.org/10.7767/9783205213741 | CC BY-NC 4.0 © 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. & Co. KG, Wien, Zeltgasse 1, A-1080 Wien