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sicher aber bis zur Virtuosität ausgebildet, wozu er wohl mich durch seiue Ubicalion
verleitet werden mußte, die in verführerischester Weise mit einem Kranze landschaftlicher
Herrlichkeiten geschmückt ist, von denen fast jeder einzelne Punkt eine reizende Idylle und
ein kleines Paradies zu nennen wäre. Sang doch auch schon vor sechzig Jahren die famose
„Cilli" in einer vielbeliebteu Leopoldstädter Posse ein wahres Dankeslied, womit sie die
Wiener ins Innerste traf und das da in feiner Naivetät lautete:
Meiner Heimat möcht ich sehn, Döbling, Hietzing möcht ich ziehn,
Unserer Donau möcht ich stehn! > Wo die schönsten Veigerln blühn!" u, s. w,
„Wiens Umgebungen!" Sind diefe zwei Worte nicht der Inbegriff alles Schönen,
das unser Herz erheben, unser? Seele erfreuen und den Betrüblesten mit feinem Lose
versöhnen könnte? Wiens Umgebungen! Wer sah sie uud verkündete ihreu Ruhm nicht in
aller Welt? Wo ist eine Stadt, die sich in ähnlich gottbeguadcter Lage befindet nnd sich
mit dem glücklichen Wien mesfcn kann? Ist's nun dem zwischen den Mauern thurmhoher
Häuser Eingepferchten zu verargen, wenn er, sobald sein Auge die fmaragducn Hügel-
Ketten vor den Thoren der heißen Riefenstadt streift, sich hinaussehnt in den kühlenden
Schatten blätterdichter Bäume und, lustwandelnd durch duftige Fluren und blühende
Auen, glaubt, sich daselbst wohlcr fühlen zu dürfen als in den engen Gelaffeu feines
dumpfen Daheim? Uud gar, wenn in perspectivifcher Ferne aus lauschigem Waldesgrün
oder von luftiger anssichtswciter Terrasse ein verbürgt gutes, gastfreundliches wirths-
häuslichcs Refectorium dcu gläubigen Wandersmanu für etwaige Gehstrapazru mit
köstlichen Gaben zu lohuen verspricht und ihm Nektar und Ambrosia in christlich
modernisirter Weise von echtem Grinzinger, schäumendem Schwechatcr und jungen
Backhühueru mit Zuckererbscu eutgegeuwiuken? Also: „hinaus, hinaus — fobald cs
möglich!"
Sobald es möglich! „Da liegt's!" sagt Hamlet. Ach, nicht Alleu werdeu diese Ideale
von Waldcsgrüu und trink- und eßbarer Würze zur fühlenden und genießenden Wirklich-
keit. Legionen bleiben diefe Erdengüter uuerreichbar uud sie haben sich ebenfalls mit
Wenigerem zu bescheiden. Auch bei ihnen heißt es: „Ein Mittagsesfen für ein Wandeln
auf der Flur!" uud fo sind ihnen — und auch nur nach gethaner Wocheuarbeit — jene
Erholungsorte zugewiesen, wo die Mittellosigkeit, die Armuth und Dürftigkeit ihre
gemeinschaftlichen Sammelplätze und Zufluchtsstätten haben i iu deu städtifchen öffent-
lichen Gärten, die ein milder und hochherziger Sinn den Nichtbegüterteu errichtete oder
edelmüthigst erschloß. Darunter sind nuu freilich uicht auch jeuc Modeplähe zu verstehen,
wo sich, wie im eleganten „Voltsgarten" und im vornehmen Stadtpark, hauptsächlich
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277