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kommt hier zum Aus- und Durchbruch, die unvermitteltste Anschauung uud Empfindung
hier zum Ausdruck.
„Was macht denn der Prater, sag', blüht er recht schöu?" heißt's in der „Aline",
und so weit die deutsche Zunge klingt, sang man das populäre Lied einst den Wienern
nach. Wenn irgendwo, pulsirt hier das Volksleben am kräftigsten; wenn irgendwo, findet
man noch hier den echten, wahren unvermischten Wiener nach den gang uud gäben
Signalements und in ungeschminktester Natürlichkeit! Viuat der Prater, das Eldorado
aller Lebensfreudigkeit!
Äußert sich nur der Localpatriotismus in solchen Exclainationen? Mit nichten. Wer
diesen pittoresken Naturpark je durchwanderte, ist und war, und sei er der frostigste,
neidischste Mäkler, von seinen urwüchsigen Schönheiten und der Buntheit seiner originellen
Reize gepackt, entzückt, bezaubert. Die contrastirendsten Partien bieten seine malerisch
gruppirten Miniatur-Wälder, seine zahllosen Auen, Gründe und Wiesenflachen: hier
schäumende, tobende Lustbarkeit uud dort stille, beschauliche Ruhe. Grillparzer dichtete feine
„Sappho" in den schattigen Gängen dieses grüuen Eilandes, Lenau seine ergreifendsten
Lieder, ungezählte Liebespaare schwuren sich hier ihre ersten Eide und auf „Büchsenschuß-
Weite" ertönt die Luft von dem Getöse, Geschrei, Gelächter und Gläsergeklirre übertoller
Zechkumpane. Drüben im „Nobelvrater" promenirt, reitet uud fährt die „Elite" nnd was
sich dazn rechnen zu müssen glaubt, und herüben im Volks- und „Wurstel"-Prater ist der
Teufel los. Hundert Wirthshäuser laden zu Tchmausereien und Trinkopfern ein; wilde und
wildeste Künstler jeglicher Art, Gattung, Nationalität und jedeu Metiers treiben cni-an,
paMlu ihr Unwesen; Land- und Meer-Ungeheuer, menschliche und Thier-Abnormitäten,
Wahrsager, Zauberer und andere Hokuspokusmacher. die sich alle wohlweislich in schützenden
Buden verborgen halten, werden von mit Nebelhornstimmen ausgestatteten Ausrufern dem
vertrauensvollen, gläubigen Publicum zur geneigten Besichtigung anempfohlen. Seiltänzer
und Akrobaten in vielfach gewaschenen und immer neugeflickten Tricots; Voltssänger
betrübendstcr Kategorie und ihre kurzgeschürzten antiquarischen Partnerinnen geben ihr
Bestes auf wackeligen Tribünen zu Gehör, und nebenan rechts und links: Schaukel und
Ringelspiele, Bolzfchießen und Kraftmesser, Velocipede- uud Eifenbahnfahrten, Hutsch-
fchiffe, Guckkasten, Wandelbilder :c. :c. Und dazu noch der Hauptmatador des Praters, der
„Champion" der Kinder, der alte, liebe, herzige „Wurstel", der nun auch alle anti-
semitischen Tendenzen abgelegt hat und nur seine sonstigen vor zehn Generationen erprobten,
bewährten, belachten und beklatschten Späße macht. Wo ist da im weitesten Umkreise ein
finsteres Geficht zu schauen? Allseits fröhliche Mienen, weitaufgerissene Mäuler uud Augen.
helles Gelächter und verschämtes Gekicher. Uud an den vollbesetzten Tischen ein Gesumme
und Gevlauder, ein Charivari von Stimmen und Lauten in allen Tonarten; ans den
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277