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Neuerung aber war es, als Schmelzt aus unbekannten Vewcggründen mit dem Latein brach
und seine Tramen in deutscher Sprache dichtete. Dadurch mußte ein weiterer Kreis von
Zufchaueru herbeigezogen werden, mußten die gedruckten Stücke größere Verbreitung
finden. Ein volksthümliches Interesse knüpfte sich »»mittelbar an das Schuldrama, das
bisher nur der höheren Bildung zugänglich gewesen. Indeß war Schmelzt nicht ganz
der Mann, diesem Interesse eiueu höhereu Schwung zu geben. Schöpferisch, erfinderisch
war er nur in einem bescheidenen Maße; er trat als Nachahmer auf und hat sich von
Vorbildern nie recht losreißen können. Als einem geboreneu Nachbar Nürnbergs sind ihm
wohl die dramatischen Niirgerspiele dieser Stadt, ist ihm namentlich Hans Sachs nicht
fremd geblieben, und auf seiuen Reifen, die ihn auch uach Leipzig führteu, mag er mit dem
sächsischen Tchuldrama bekannt worden sein. Beliebte Schauspiele der Zeit betrachtete er
und betrachteten Andere als einen allgemeinen Besitz, in den man ohne Gewissensbisse
hineingreifen dürfe. So schrieb er mit Anlehnung an ein fremdes Werk als fein erstes
Stück die Comödie vom verlorenen Sohne, die in Gegenwart des Hofes, aufgeführt und
jahrelang als ein Lieblingsschauspiel der Wiener gegeben wurde. Der verlorene Sohn
war ein dramatischer Lieblingsstoff des ganzen Jahrhunderts, weil er einen großen
Reichthum von Situationen mit fich führt, die Welt von vielen Seiten zeigt uud dem
moralisirenden Sinn der Dichter, denen das Drama als eine Schule der Tugend erschien,
fette Nahrung gewährte. Auch Schmelzl huldigte durchaus dieser moralisireuden Richtung,
die am geistlosen Wiederkäuen von Trivialitäten ein eigenes Behagen findet. Übrigens
kann man doch bemerken, wie Schmelzl im Laufe der Jahre dramatisch wächst, wie ihn
das rein dramatische Interesse mit sich fortzieht. Auf der Höhe seiner freilich immer noch
bescheidenen Kunst zeigt ihn ^cinc letzte Bühuenarbeit, das Drama: „Samuel und Saul".
Au ein geschichtliches Ereigniß, wahrscheinlich an den böhmischen Aufstand uom Jahre
154? anknüpfend, sucht er das Thema durchzuführen, daß alle Obrigkeit, gute wie böse,
von Gott gesetzt sei. Samuel und Saul gewinnen feste und festgehaltene Gestalt, Partei-
führer werden iu bezeichnenden Umrissen hingestellt, das Volk wird leidend und thätig
hereingezogen, das Gespräch wird lebendiger: Satz trifft auf Satz, Wort auf Wort. Jetzt
eigentlich hört man erst den Theatervorhang aufrauschen, allein rasch fällt er wieder, und
Wolfgang Schmelzl verschwindet. Und er verschwindet, ohne daß man eigentlich ein
rechtes Bild von seiner Theaterwirksamkeit erhalten. Daß seine Stücke in Wien gedichtet
sind nnd in Wicu aufgeführt wurden, läßt er uns wohl manchmal recht unbefangen
merken. In der „Hochzeit von Cana" richtet der Heiland sein Tischgebet gegen die
Türtengefahr und von dem Weine, den der Herr aus Wafser hergestellt, sagt Tobias: er
habe «ie einen besseren getrunken, er komme uom Kahlenberg herab. Hier blitzt Wien mit
seinem Natursegen und seiner historischen Nothlage momentan auf, allein wie der Dichter
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277