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Voltöschauspiel bescheert; zwei andere seiner Söhne haben aus feiner Gesinnung heraus
Tragödien und Lustspiele gedichtet, die in ihrer Weise classisch dastehen; in sein Burg-
theater hat es die besten Überlieferungen der deutschen Schauspielkunst herübergenommen
und durch seine Theilnahme, seinen belebenden Geist diese Bühne zu einer Musteranstalt
für ganz Deutschland gemacht.
Leider verbergen sich uns die Anfänge dieser ruhmvollen Geschichte in der eigen-
sinnigsten Weise. Was vor Wolfgang Schmelzt liegt, ist fast ein leeres Blatt, und noch
gut hundert Jahre nach ihm ficht man sich aus Äudeutuugeu uud Vermuthungen angewiesen.
Glücklich, wenn uns eine städtische Rechnung Kunde bringt Uun eiuer Theaterausführung
in der Rathsstube oder im bürgerlichen Zeughaus, von der wir freilich nichts erfahren, als
was die Bürger und ihre Frauen an Confect und Wein verzehrt haben, oder wie uus eiue
Polizeiuerordnung zu errathen gibt, was für ein Coinodiantennbermuth zu dämpfen war.
Geistliche Spiele, Fastnachtsspiele, Bnrgersuiele — fast Alles fcheint versunken zu sein.
Nur etwa aus der Zeit Wolfgang Schinelzls hat sich ein geistliches Spiel, das Passions-
spiel von St. Stefau, erhalle». Es ist die erneuerte Zeitgestalt eiuer Dichtung, die wohl
weit zurückreicht, wie alterthümliche Redewendungen beweisen, z. N. wafen, das heißt
wehe über der Inden Zorn, Dieses Passionsspicl wurde am Lharfrcitag in der Stefans-
lirche wahrend des Gottesdienstes aufgeführt. In der Nähc der Kanzel war eine Bühne
aufgefchlage«, die Darsteller waren die Tteuerdiener der Stadt Wien. Vormittags wurde
die Kreuzigung, die Kreuzabnahme uud die Grablegung dargestellt, Nachmittags die Klage
am Grabe. Ein Prolog erzählt die Leidensgeschichte des Heilands nnd bittet schließlich auf
eine Stunde Geduld für das nun folgende Passionsfuiel. Maria Magdalena tritt auf,
mit ihr die drei Marien, die, das Kreuz umwandelnd, ihre Klagen sprechen. Simcon naht
sich der Mutter Gottes, „ziehet aus das Schwert und gibts Maria ius Herz": das Schwert,
das ihr durch die Seele geht. Todanu fordert Josef den Nitodeinus auf, mit ihm zu
Pilatus zu geheu, um ihn um den Leichnam des Heilands zu bitten. Um sich zu versichern,
ob Christus schon todt sei, schickt er den bliuden Longiuus ab. Dieser sticht ihm mit der Lauze
in die Seite; von dem Blut, das aus der Wunde fließt, wird Longinns sehend. Mit seinen
Augen habe er gesehen, daß das ein wahrer Gott sei, nnd er macht sich anf und verkündet
das Wunder. Pilatns ist erstaunt, daß Christus schon todt, da er doch noch jung und
stark gewesen; Lhristns sei übrigens ein gerechter Mann gewesen, es habe ihm schwere
Noth gemacht, daß die Juden feineu Tod verlangt, denn er felbst wärc aus eigenem Ent-
schlüsse nie gegen ihn aufgetreten. Auch der Sohn des Pilatus versichert, daß seiu Vater
und seine Mutter stets zu Christus gehalten, dasi seine Mutter sogar für den Heiland
gebeten, daß fie daher an seinem Tode unschuldig seien. Der Leichnam wird ausgeliefert
und bestattet. Erneuerte Klagen. Nachmittags am Grabe erscheint Judas, wird von
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277