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sein lassen, denen sie mit fundercr Begier »ud Lust felbsten gar persönlich und unersättlich
beiwohnen mit eigenen selbst angebotenen und angewandten Unkosten,"
Die Wirkung der Iesuitencomödie auf das nationale Schauspiel ist indeß nur gering
anzuschlagen und fast blos in dem Sinne anzunehmen, wie jede größere technische Aus-
bildung auf die Kunst wirkt. Das Theater der Jesuiten ist mehr rednerisch als poetisch
und ohue Persönlichkeit, abgesehen von der moralischen Person der Gesellschaft Jesu selbst,
die sich in allen Stücken, auch in ihren Theaterstücken, ewig gleich bleibt. Bei der starken
Betonung der sinnlichen Darstellungsmittel hat die Iefuiteubühne am einflußreichsten auf
die Entwicklung der Oper hinübergewirkt. Während aber die Jesuiten noch jugendliche
Theaterlorbeeren pflückten, trat eines der wunderfamsteu Ereignisse ein, von welchen die
Kunstgeschichte zu erzählen hat. und welches Geist und Gestalt der deutschen Bühne auf
lange hinaus wesentlich bestimmte. Es ist dies die Invasion der englischen Komödianten in
Deutschland. Sei es, daß eine Überproductiou von Schauspielern, die in demElisabethischcn
England stattgefunden, sie zur Auswanderung bewog, sei es, daß Abenteuerlust und
Hoffnung auf Gewinn sie in die Fremde lockle — beides kann ja die Triebkraft eines
providentiellen Gedankens sein — genug, im Jahre 1591 erfchien ein Hänflein englischer
Schauspieler in den Niederlanden, ein Jahr darauf in Frankfurt. Wie von einem Meer-
wunder meldet derBnrgermeister vonFrankfurt an die Väter der Stadt, daß „etliche fremde
Comödianten ans England übers Meer herübergekommen", die eine Probe ihrer Kunst
abzulegen gewillt seien. Aus dieser Lomödiantenbanoe, die Frankfnrt nur flüchtig berührte,
warben dann der Herzog Heinrich Inlins von Brannschweig nnd der Landgraf Moriz
von Kassel ihre englischen Hofcomödianten, auch Dresden uud Berlin hatten ihre englischen
Schauspieler, und andere Truppen durchzogen Nieder- nnd Obcrdeutschland. Wie heut-
zutage die Meininger, machten diese englischen Hofcomödianten weite Gastspielreisen, und
englische Schauspieler erscheinen auch in Österreich, iu Prag, Graz, Innsbruck, nur Wien
scheint diese große Flutwelle, die sich über alle deutsche» Länder ergoß, kaum benetzt zu
haben, denn es ist blos eine Vermuthung, daß der hessische Hofcomüdianl John Green
mit seiner Gesellschaft im Jahre 1U17 in Wien gespielt habe. Gleichwohl entging auch
die Wiener Bühne nicht den Einflüsfeu der englischen Lomödiauten, welche die Leib-
schauspieler des deutschen Volkes waren, wie etwa die Zigeuner die Leibmnsikanten der
Ungarn sind. Diese Schauspieler brachten aus ihrem England den Muth mit, Alles zu
wagen, die Lust am Entsetzlichen, die Freude am Spaß und das dem germanischen Geiste
eigene Bedürfniß, das Tragische mit dem Koniischen zu mischen. In ihrer Heimat hatten
sie gelernt, dem Interesse am Geschehen, am dramatischen Vorgang willig entgegen-
zukommen, die Spannung durch die Handluug zu erregeu. Sie haben große dramatische
Stoffe und zugleich den Pickelhäring, den Vetter des Hanswurst, mitgebracht. Warlowe,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277