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Stempel eines ernsten, durchgebildeten Künstlcrgenius tragen. Wie sich in der Fülle seiner
Schöpfungen ein weich empfänglicher, uon mannigfachen Gedankenströmungen und Kunst-
richtungen bewegter Geist abspiegelt, so umfaßt auch sein Können die ganze Scala der
malerischen Ausdructsformen, von der fleißigsten Miniaturzeichnung bis zur flott und breit
hingesetzten Skizze, die den flüchtigen Moment mit raschen: Blick erfaßt, vom zart-
verfchmolzenen Altarbildchen im Stile der alten Flandrer („Madonna mit musicirenden
Engeln", im Besitze des Grafen Hans Wilczek) bis zum kolossalen, im Frestostil gehaltenen,
für weite Distanzen berechneten Deckengemälde („Der Kreislauf des Lebens", für das
Treppenhaus des naturhistorifchen Hofmuseums). Letzteres Wert mit deu dazu gehörigen,
leider nnvollendct gebliebenen Lünetten bildet den Abschluß von Canons fruchtbarer
Thätigkeit auf dem Felde der großen Dccorativmalerei, von der unter Anderem die schonen
allegorischen Bilder von „Poesie" und „Malerei" im Salon des Herrn K. Ausvih, der
Gemäldecyklus bei Herrn D. Gutmanu, die umfassenden decoraliven Compositionen für
Karlsruhe und New-Iork genannt sein mögen. Nicht wenigen seiner gestaltenrcichen
Bilder, wie der „Loge Iohannis" in der kaiserlichen Gemäldegalerie und dem eben
erwähnten „Kreislauf des Lebens", liegen complicirte Gedankens»)steme zu Grunde,
Beweise von Canons philosophisch angelegtem Geist, der an scharfer Dialektik, an einer Art
Fechtkunst des Verstandes seine Freude hatte. Wenn es ihm auch nicht immer gelungen
ist, diese Gedankensysteme ganz in lebensvolle Organismen umzuwandeln, so pulsirte doch
in Canon eine coloristische Kraft von seltener Glut und fein Schaffen bildet, im Ganzen
betrachtet, ein hochinteressantes Element in der Entwicklung der Wiener Kunst.
Der malerische Zug, der uns an den zuletzt betrachteten Meistern vornehmlich in
die Augen sprang, bildet auch in den Werten der Historienmaler von vorwiegend
realistischem Zuschnitt ein Erbtheil der Wiener Schule. Als resolute Technik von
männlicher Tüchtigkeit offenbart er fich in den großen Wand- und Gewölbemalereien von
Karl Blaas im Waffenmuseum des Arsenals, in blühender Farbenfrifche von bisweilen
etwas bunter Tönung leuchtet er hervor aus den Bildern Franz Dobyaschofskys im
Stiegenraume des Overniheaters. Wenn der geniale Moriz von Schwind mit seinen
Foyerbildern der Oper und mit dem poesievollen hellfarbigen Freskencyklus zur „Zauber-
flöte" in der Loggia derselben (siehe die Abbildung), wenn Anselm Feuerbach mit seinen
für Wien geschaffenen Bildern, vornehmlich mit dem grandios gedachten „Titanen stürz"
(Akademie der bildenden Künste), hier keine vollen Erfolge errungen haben, so ist das
vorzugsweise der Zurückhaltung zuzuschreiben, welche fich die deutsche Schule großen Stils
in coloristifcher Hinsicht auferlegte. — Hans Makarts leichter Sieg dagegen war in
erster Linie ein Sieg der Farbe uud der in ihren berauschenden Duft gehüllten sinnlichen
Schönheit.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277