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maßvoller, bescheidener in Profilen nnd Relief, feiner in ihrer ganzen Erscheinung, und
das gilt ganz vorzugsweise bei den Möbeln, während die deutschen Möbel derber und
überladener sind und nmsomehr sich dem Charakter des Barocken nähern. Mit Talent,
Geschick und Energie, insbesondere von München aus verfochten, äußerte diese deutsche
Stilart, uach allen Seiten vordringend, ihren Einfluß auch auf Österreich und die Wiener
Möbelindustrie. Ihre eigenthümlichen, meist sehr glücklich construirteu Formen fanden
volle Würdigung und Nachahmung, uud ganze Ziuimereinrichtunge«, gauze Wohnungs-
ausstattuugen, Wände und Plafonds inbegriffeu, wurden iu diesem sogenannten altdeutschen
Stil zahlreich angefertigt. Immer aber ist bei uns so viel von dem Studium und dein
Geist der italienischen Renaissance übrig geblieben, daß man nicht blos Möbcleinrichtungen
sieht, welche sich der italienischen Weise anschließen, sondern daß auch die deutsche Art
mit viel größerer Feinheit, viel maßvoller behandelt wird, als es z. B. bei den Frank-
furter oder Münchener Möbeln geschieht. Wien hat in dieser Beziehung eine gewisse
Eigenthümlichkeit des Charakters bewahrt, welche sich auch wohl noch in der Vorliebe
für Ebenholz oder derartig geschwärztes Holz (nicht selten mit Elfenbeineinlagen) zeigt.
Die Stilart der Renaissance oder was mau darunter znsammenfaht, der Formen des
XVl. und XVII. Jahrhunderts, ist freilich nicht die einzige, welche in Übung steht. Die
herkömmliche Weise des modernen französischen Geschmacks, das heißt wieder aufgenommene
Formen des XVIII. Jahrhunderts, finden noch immer im Salon die häufigste Anwendung
sowohl im geschweiften Möbel wie auch in den Sturcaturen der Wände und Plafonds.
Doch ist auch hier eiue Veränderung aufzuzeichnen, insofernc als die Wände des Salons
statt der früher unbedingt herrschenden weißen Farbe oder statt des lichten und kalten
Grau wärmere Töne angenommen haben. Selbst eiu feuriges Roth ist wohl an die Stelle
getreten. Anch die Bekleidung der Möbel fowie die Vorhänge, welche ehedem meist
einfarbig, wenn auch damastartig gemustert in starkem Roth, Gelb oder Blau gehalten
waren, haben eineu audereu Charakter angenommen, indem sie warme, aber gebrochene
Töne zeigen oder mit mehrfarbiger Decoration iu milder Harmonie gemustert.
Überhaupt hat fich die gesammte Weberei, soweit sie zur Dekoration der Wohnung,
also zu künstlerischen Zwecken dient, einer vollständigen Wandlung uuterzogeu nnd gibt
gegenwärtig einen außerordentlichen Reichthum verschiedenartiger Motive und Geschmacks-
richtungen zu erkennen. Aber mir Einiges davon ist original und charakteristisch für Wien
und Österreich uud auch dieses ist heute Eigenthum der Mode und des allgemeinen
Geschmackes geworden. Dahin gehören die nach mittelalterlichen Vorbildern, wie sie das
österreichische Museum besitzt, dessinirten Gewebe. Dann erst kamen Franzosen und
Engländer. Ebenso ist der Geschmack für orientalische Gewebe und Stickereien, der heute
Gemeingut aller Welt ist, zuerst in Wien gepflegt worden und von Wien ausgegangen,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277