Seite - 21 - in Zur Kritik der Weiblichkeit
Bild der Seite - 21 -
Text der Seite - 21 -
schlecht das konservative oder zentripetale, das die
Art unverändert bewahrt und erhält.
Damit scheint eine feste Grundlage für das ge-
wonnen, was man mit Sicherheit als psychische Ge-
schlechtscharaktere nachweisen und bei allen ge-
schlechtlich differenzierten Individuen voraussetzen
kann. Allein in Wirklichkeit wird auch damit nur
eine Art Schema geschaffen, ein Typus, von welchem
sich die einzelnen Individuen mehr oder minder ent-
fernen. Die oberflächlichste Beobachtung lehrt ja,
daß diese allgemeinen Bestimmungen selbst bei solchen
Personen nicht zutreffen, die sich im ganzen durchaus
nicht von dem Gewöhnlichen unterscheiden, sie lehrt,
daß die individuelle Differenzierung in vielen Fällen
die generelle aufhebt. Es lassen sich unschwer Indi-
viduen verschiedenen Geschlechtes ausfindig machen,
deren psychische Geschlechtscharaktere ganz ver-
tauscht sind, obwohl sie körperlich normale Reprä-
sentanten ihres Geschlechtes sind. Hier aber liegt
erst das eigentliche Problem: Wenn die Keimzelle
das einzige und ausschlaggebende Bildungsprinzip
des Organismus darstellt, wie sind solche Abwei-
chungen möglich? Und wenn die physische Ge-
schlechtsdifferenzierung nicht mit Notwendigkeit den
psychischen Charakter des Individuums bestimmt,
welche Faktoren sind es, die solche Abweichungen
bewirken?
Doch abgesehen vorerst von den atypischen Indi-
viduen— diese allgemeinen Schlüsse aus biologischen
Tatsachen lassen eine Reihe von Phänomenen inner-
halb der natürlichen Entwicklungsreihen unaufgeklärt.
Es gibt viele Tiergattungen, und darunter sehr hoch-
stehende, deren Korporisation außerhalb der Ge-
schlechtssphäre von der Natur der Keimzellen ganz
unabhängig zu sein scheint. Hengst und Stute, Hund
21
zurück zum
Buch Zur Kritik der Weiblichkeit"
Zur Kritik der Weiblichkeit
- Titel
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Autor
- Rosa Mayreder
- Verlag
- Eugen Diederichs Verlag
- Ort
- Jena
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.5 x 16.5 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299