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vermietet, sie wuschen zum Beispiel sehr gut und waren von kleinen Leuten
wegen ihrer Billigkeit sehr gesucht. Auch Tonkas Großmutter ließ sie an den
Waschtagen kommen, man gab ihnen Kaffee und Semmel, und weil man mit
ihnen zusammen im Haus gearbeitet hatte, frühstückte man auch gemeinsam
mit ihnen und grauste sich nicht. Mittags mußten sie durch einen Begleiter in
die Anstalt zurückgebracht werden, so war die Vorschrift, und gewöhnlich
wurde Tonka damit beauftragt, als sie noch ein kleines Mädel war, ging
plaudernd neben ihnen her und schämte sich gar nicht ihrer Gesellschaft,
obwohl sie weiße, weithin kenntliche Kopftücher und graue
Gefängniskleidung trugen. Ahnungslos mag man das nennen, ahnungslos
ausgeliefert sein eines jungen, armen Lebens an Einflüsse, die es abstumpfen
müssen; aber wenn Tonka später, sechzehnjährig und immer noch ohne
Schreck, mit Kusine Julie scherzte: kann man sagen, daß es ohne Ahnung von
der Schande geschah, oder war hier schon das Feingefühl eines Gemüts für
Schande verlorengegangen? Wenn auch ohne Schuld, wie wäre das
kennzeichnend!
Auch das Haus darf man nicht vergessen. Fünf Fenster hatte es auf die
Straße hin – stehen geblieben zwischen schon hoch aufgeschossenen neuen
Häusern – und ein Hintergebäude, darin Tonka mit ihrer Tante wohnte, die
eigentlich ihre viel ältere Base war, und deren kleinem Sohn, der eigentlich
ein unehelicher Sohn war, wenn auch aus einem Verhältnis, das sie so ernst
genommen hatte wie eine Ehe, und einer Großmutter, die nicht wirklich die
Großmutter, sondern deren Schwester war, und früher wohnte noch ein
wirklicher Bruder ihrer toten Mutter dort, der aber auch jung starb, das alles
in einem Zimmer mit Küche, während vorn die fünf Fenster, vornehm
verhängt, nichts weniger verbargen als ein anrüchiges Quartier, wo
leichtsinnige Kleinbürgerfrauen, aber auch Gewerbsmäßige mit Männern
zusammengebracht wurden. Man ging schweigend im Haus an diesen
Vorgängen vorüber, und da man keinen Zank mit der Kupplerin wollte, grüßte
man sogar, und die war eine dicke Person, die sehr auf Achtbarkeit zielte und
eine Tochter hatte, die so alt wie Tonka war. Diese Tochter schickte sie in eine
gute Schule, ließ sie Klavier und Französisch lernen, kaufte ihr schöne
Kleider und hielt sie sorgsam fern von den Vorgängen in der Wohnung; sie
hatte ein weiches Herz, und das erleichterte ihr den Erwerb, denn sie wußte,
daß er schändlich war. Mit dieser Tochter durfte Tonka früher zuweilen
spielen und kam dann in die Vorderwohnung, die zu solchen Stunden leer und
übergroß war und Tonka lebenslang einen Eindruck von Pracht und
Vornehmheit hinterließ, den erst er auf das rechte Maß brachte. Übrigens hieß
sie nicht ganz mit Recht Tonka, sondern war deutsch getauft auf den Namen
Antonie, während Tonka die Abkürzung der tschechischen Koseform Toninka
bildet; man sprach in diesen Gassen ein seltsames Gemisch zweier Sprachen.
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Buch Tonka"
Tonka
- Titel
- Tonka
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.8 cm
- Seiten
- 46
- Kategorien
- Weiteres Belletristik