Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Tonka
Seite - 6 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 6 - in Tonka

Bild der Seite - 6 -

Bild der Seite - 6 - in Tonka

Text der Seite - 6 -

vermietet, sie wuschen zum Beispiel sehr gut und waren von kleinen Leuten wegen ihrer Billigkeit sehr gesucht. Auch Tonkas Großmutter ließ sie an den Waschtagen kommen, man gab ihnen Kaffee und Semmel, und weil man mit ihnen zusammen im Haus gearbeitet hatte, frühstückte man auch gemeinsam mit ihnen und grauste sich nicht. Mittags mußten sie durch einen Begleiter in die Anstalt zurückgebracht werden, so war die Vorschrift, und gewöhnlich wurde Tonka damit beauftragt, als sie noch ein kleines Mädel war, ging plaudernd neben ihnen her und schämte sich gar nicht ihrer Gesellschaft, obwohl sie weiße, weithin kenntliche Kopftücher und graue Gefängniskleidung trugen. Ahnungslos mag man das nennen, ahnungslos ausgeliefert sein eines jungen, armen Lebens an Einflüsse, die es abstumpfen müssen; aber wenn Tonka später, sechzehnjährig und immer noch ohne Schreck, mit Kusine Julie scherzte: kann man sagen, daß es ohne Ahnung von der Schande geschah, oder war hier schon das Feingefühl eines Gemüts für Schande verlorengegangen? Wenn auch ohne Schuld, wie wäre das kennzeichnend! Auch das Haus darf man nicht vergessen. Fünf Fenster hatte es auf die Straße hin – stehen geblieben zwischen schon hoch aufgeschossenen neuen Häusern – und ein Hintergebäude, darin Tonka mit ihrer Tante wohnte, die eigentlich ihre viel ältere Base war, und deren kleinem Sohn, der eigentlich ein unehelicher Sohn war, wenn auch aus einem Verhältnis, das sie so ernst genommen hatte wie eine Ehe, und einer Großmutter, die nicht wirklich die Großmutter, sondern deren Schwester war, und früher wohnte noch ein wirklicher Bruder ihrer toten Mutter dort, der aber auch jung starb, das alles in einem Zimmer mit Küche, während vorn die fünf Fenster, vornehm verhängt, nichts weniger verbargen als ein anrüchiges Quartier, wo leichtsinnige Kleinbürgerfrauen, aber auch Gewerbsmäßige mit Männern zusammengebracht wurden. Man ging schweigend im Haus an diesen Vorgängen vorüber, und da man keinen Zank mit der Kupplerin wollte, grüßte man sogar, und die war eine dicke Person, die sehr auf Achtbarkeit zielte und eine Tochter hatte, die so alt wie Tonka war. Diese Tochter schickte sie in eine gute Schule, ließ sie Klavier und Französisch lernen, kaufte ihr schöne Kleider und hielt sie sorgsam fern von den Vorgängen in der Wohnung; sie hatte ein weiches Herz, und das erleichterte ihr den Erwerb, denn sie wußte, daß er schändlich war. Mit dieser Tochter durfte Tonka früher zuweilen spielen und kam dann in die Vorderwohnung, die zu solchen Stunden leer und übergroß war und Tonka lebenslang einen Eindruck von Pracht und Vornehmheit hinterließ, den erst er auf das rechte Maß brachte. Übrigens hieß sie nicht ganz mit Recht Tonka, sondern war deutsch getauft auf den Namen Antonie, während Tonka die Abkürzung der tschechischen Koseform Toninka bildet; man sprach in diesen Gassen ein seltsames Gemisch zweier Sprachen. 6
zurück zum  Buch Tonka"
Tonka
Titel
Tonka
Autor
Robert Musil
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.8 cm
Seiten
46
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 9
  3. Kapitel 3 14
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 21
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 27
  8. Kapitel 8 30
  9. Kapitel 9 33
  10. Kapitel 10 35
  11. Kapitel 11 37
  12. Kapitel 12 40
  13. Kapitel 13 42
  14. Kapitel 14 44
  15. Kapitel 15 46
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Tonka