Seite - 8 - in Tonka
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mußte die Stoffballen beaufsichtigen und die richtigen finden, wenn ein
Muster verlangt wurde, und ihre Hände waren stets etwas feucht, weil sie von
den feinen Haaren der Tuche gereizt wurden. Das hatte nichts von Traum:
offen war ihr Gesicht. Aber dann waren da die Söhne des Tuchherrn, und der
eine trug einen Schnurrbart wie ein Eichhörnchen, der an den Enden
aufgekräuselt war, und stets Lackschuhe; Tonka wußte zu erzählen, wie
vornehm er sei, wieviel Schuhe er hatte und daß seine Hosen jeden Abend
zwischen zwei Bretter mit schweren Steinen gelegt wurden, damit die Falten
scharf blieben.
Und jetzt, weil man klar durch den Nebel etwas Wirkliches sah, tauchte das
Lächeln auf, das ungläubige, zuschauende Lächeln seiner eigenen Mutter, voll
Mitleid und Geringschätzung für ihn. Dieses Lächeln war wirklich. Es sagte:
Gott, jeder Mensch weiß, dieses Geschäft … ?! Aber obgleich Tonka noch
Jungfrau gewesen war, als er sie kennen lernte, war dieses Lächeln,
heimtückisch versteckt oder verkleidet, auch in vielen quälenden Träumen
aufgetaucht. Vielleicht hatte es sich nie als ein einzelnes Lächeln ereignet;
49 das war selbst jetzt nicht sicher. Und dann gibt es auch Brautnächte, wo
man nicht ganz sicher sein kann, sozusagen physiologische Zweideutigkeiten,
wo selbst die Natur nicht ganz klar Aufschluß gibt, und im gleichen
Augenblick, wo das wieder vor der Erinnerung stand, wußte er: auch der
Himmel war gegen Tonka.
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Buch Tonka"
Tonka
- Titel
- Tonka
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.8 cm
- Seiten
- 46
- Kategorien
- Weiteres Belletristik