Seite - 15 - in Tonka
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»Ja,« meinte der Onkel, »es wird wohl noch ein paar Tage dauern, bis der
Haushalt aufgelöst ist; so lange können Sie gewiß bleiben. Aber Sie können
auch früher gehen, wenn Sie wollen, wir brauchen Sie ja nicht mehr.«
»Danke,« sagte das Fräulein und ging auf sein Zimmerchen.
Die andern waren inzwischen mit der Verteilung schon beim täglichen
Gebrauch angelangt. Sie waren wie Wölfe, die einen gefallenen Kameraden
auffraßen, und hatten sich schon gegenseitig gereizt, als er fragte, ob man
nicht dem Fräulein, das so wenig Geld bekommen habe, wenigstens ein
wertvolles Andenken geben solle.
»Wir haben Großmamas großes Gebetbuch dafür bestimmt.«
»Nun ja, aber etwas Praktisches würde ihr gewiß mehr Freude machen; was
ist denn zum Beispiel mit dem da?« Auf dem Tisch lag ein brauner
Pelzkragen, den er hochhob.
»Der ist für Emmi«, – Emmi war seine Kusine – »wo denkst du überhaupt
hinaus, das ist doch Nerz!«
Er lachte. »Wer sagt, daß man bei armen Mädchen nur der Seele etwas
schenken darf? Wollt ihr für knauserig erscheinen?«
»Das laß nur uns über,« meinte jetzt seine Mutter, und weil sie ihm nicht
ganz unrecht gab, fuhr sie fort: »Du verstehst es doch nicht; sie wird nicht zu
kurz kommen!« Und sie nahm generös und ärgerlich einige Taschentücher,
Hemden und Beinkleider der alten Frau für das Fräulein auf die Seite, dazu
ein schwarzes Kleid, dessen Tuch noch neu war. »So, das ist jetzt wohl genug.
Gar so verdient hat sich das Fräulein ja nicht gemacht, und sentimental ist sie
auch nicht: Weder als Großmama starb, noch beim Begräbnis hat sie auch nur
eine Träne im Auge gehabt! Also gib, bitte, Frieden.«
»Es gibt Menschen, die schwer weinen; das ist doch kein Beweis« –
antwortete der Sohn, nicht weil es ihn wichtig zu sagen dünkte, sondern weil
ihn seine Redegeschicklichkeit reizte.
»Bitte … !?« sagte die Mutter. »Fühlst du nicht, daß deine Bemerkungen
jetzt nicht am Ort sind?«
Er schwieg auf diese Zurechtweisung nicht aus Scheu, sondern weil es ihn
plötzlich unbändig freute, daß Tonka nicht geweint hatte. Seine Verwandten
sprachen lebhaft durcheinander und er bemerkte, wie gut sie damit ihren
Nutzen wahrten. Sie sprachen nicht schön, aber flink, hatten Mut zu ihrem
Schwall, und es bekam schließlich jeder, was er wollte. Redenkönnen war
nicht ein Mittel der Gedanken, sondern ein Kapital, ein imponierender
Schmuck; während er vor dem Tisch mit Gaben stand, fiel ihm der Vers ein:
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Buch Tonka"
Tonka
- Titel
- Tonka
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.8 cm
- Seiten
- 46
- Kategorien
- Weiteres Belletristik