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sich über die lächerliche kaufmännische Schönschrift, die ihr dort anwuchs.
Sogar die verbildeten Urteile über das und jenes, die sie von dort nach Hause
trug, waren ihm lieb. Sie trug sie gleichsam im Mund nach Hause, ohne sie zu
essen; es lag eine edle Natürlichkeit darin, wie hilflos sie in der Abwehr des
Wertlosen war, aber ahnend es sich nicht zu eigen machte. Diese Sicherheit,
mit der sie alles Rohe, Ungeistige und Unvornehme auch in Verkleidungen
ablehnte, ohne sagen zu können warum, war staunenswert, aber ebensosehr
fehlte ihr jedes Streben, aus ihrem Kreis in einen höheren zu gelangen; sie
blieb wie die Natur rein und unbehauen. Es war gar nicht so einfach, die
Einfache zu lieben. Und zuweilen überraschte sie ihn durch Kenntnisse von
Gedanken, die ihr ganz fern liegen mußten; selbst von Chemie; wenn er, vom
Beruf ausschwingend, mehr monologisierend als für sie etwas erzählte, wußte
sie plötzlich dies oder das. Gleich beim erstenmal hatte er sie natürlich
erstaunt gefragt. Der Bruder ihrer Mutter, der bei ihnen in dem kleinen Haus
hinter dem Bordell gelebt hatte, war Student gewesen. »Und jetzt?« »Er starb
gleich nach den Prüfungen.« »Und das hast du dir gemerkt?« »Ich bin noch
klein gewesen,« erzählte Tonka, »aber wenn er gelernt hat, hab ich ihn immer
ausfragen müssen. Ich hab kein Wort verstanden, aber er hat mir die Fragen
auf einen Zettel geschrieben.« – Schluß. Und länger als zehn Jahre war das
wie schöne Steine, deren Namen man nicht weiß, in einem Kästchen gelegen!
So war es auch jetzt; während er arbeitete, stumm in der Nähe zu sein, war ihr
ganzes Glück. Sie war Natur, die sich zum Geist ordnet; nicht Geist werden
will, aber ihn liebt und unergründlich sich ihm anschloß wie eins der vielen
dem Menschen zugelaufenen Wesen.
Seine Beziehung zu ihr war damals in einer merkwürdigen Spannung
gleich weit von Verliebtheit wie Leichtfertigkeit. Eigentlich waren sie schon
in der Heimat auffallend lang ohne Verführung miteinander ausgekommen.
Sie hatten sich abends gesehen, gingen miteinander spazieren, erzählten sich
die wenigen Erlebnisse des Tages mit ihren kleinen Ärgerlichkeiten, und das
war so nett, wie Salz und Brot zu essen. Später hatte er freilich ein Zimmer
gemietet, aber nur weil es dazu gehört und auch, weil man im Winter nicht
stundenlang in den Straßen sein kann. Dort küßten sie sich zum erstenmal.
Etwas steif, es war mehr eine Bekräftigung als ein Genuß, und Tonka hatte
vor Aufregung ganz rauhe, harte Lippen. Sie hatten damals auch schon davon
gesprochen, »sich ganz anzugehören«. Das heißt – er hatte gesprochen und
Tonka hatte schweigend zugehört. Lächerlich deutlich, wie begangene
Dummheiten sich nicht auslöschen lassen, erinnerte er sich seiner sehr
jugendlich lehrhaften Ausführungen darüber, daß es so werde kommen
müssen, weil dann erst zwei Menschen sich wirklich einander öffnen, und
derart zwischen Gefühl und Theorie schwankten sie. Tonka bat bloß
einigemal, es noch um einige Tage hinauszuschieben. Bis er beleidigt frug, ob
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Buch Tonka"
Tonka
- Titel
- Tonka
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.8 cm
- Seiten
- 46
- Kategorien
- Weiteres Belletristik