Seite - 23 - in Tonka
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ihr das Opfer zu groß sei? Da setzten sie einen Tag fest!
Und Tonka war gekommen. In ihrem moosgrünen Jäckchen, in dem blauen
Hut mit den schwarzen Puffen, die Wangen von demraschen Gehn in der
Abendluft gerötet. Sie deckt den Tisch, sie richtet den Tee. Nur um ein
weniges geschäftiger als sonst, und immer bloß die Gegenstände ansehend,
mit denen sie es gerade zu tun hat. Und obgleich er während des ganzen
Tages ungeduldig gewartet hat, sitzt er eingeklemmt in die eisige Steife der
Jugend auf dem Sofa und sieht ihr zu. Er bemerkte, daß Tonka an das
Unabwendbare nicht denken wollte, und es tat ihm leid, daß er dafür einen
festen Termin gestellt hatte; wie ein Gerichtsvollzieher! Aber es fiel ihm jetzt
erst ein, daß er sie hätte überraschen, es ihr hätte abschmeicheln müssen!
Alle Freude war meilenfern; er scheute sich eher, das Frische anzutasten,
das ihm jeden Abend, wenn sie sich sahen, wie ein kühler Wind
entgegenwehte. Aber einmal mußte es sein, an diese Notwendigkeit
klammerte er sich, und während er die unwillkürlichen Bewegungen Tonkas
verfolgte, kam es ihm vor, als wäre sein Gedanke wie ein Seil um ihren
Knöchel geschlungen, das bei jeder Wendung kürzer wurde.
Nach dem Mahl, das sie fast ohne zu sprechen eingenommen hatten,
setzten sie sich zueinander. Er machte einen Versuch zu scherzen, Tonka
machte einen Versuch zu lachen. Aber sie verzog dabei den Mund, als ob sich
ihre Lippen spannten, und wurde plötzlich wieder ernst.
Unvermittelt sagte er: »Tonka, ist es dir recht? Soll es dabei bleiben?«
Tonka senkte den Kopf, und ihm schien, daß etwas über ihre Augen flog, aber
sie sagte nicht ja und sie sagte nicht, ich hab dich lieb, und er beugte sich zu
ihr und sprach ihr in seiner Verlegenheit leise zu. »Weißt du, es ist am Anfang
viel Ungewohntes, vielleicht sogar Nüchternes. Denk dir, wir dürfen doch
nicht… , weißt du, es ist doch nicht bloß so… Mach dann die Augen zu.
Also… ?«
Das Bett war schon aufgeschlagen, und Tonka ging darauf zu, setzte sich
aber plötzlich wieder unentschlossen auf den Stuhl daneben.
Er rief sie an: »… Tonka!… « Sie stand wieder auf und mit weggewandtem
Gesicht begann sie ihre Kleider zu lösen.
Ein undankbarer Gedanke blieb an diesen süßen Augenblick geheftet.
Schenkte sich Tonka? Er hatte ihr keine Liebe versprochen; warum
empörte sie sich nicht gegen einen Zustand, der höchsteHoffnungen
ausschloß? Schweigend handelte sie, als würde sie von der Macht des
»Herrn« unterjocht; vielleicht würde sie einem andern auch so folgen, der fest
will? Aber da stand sie im Ungeschick ihrer ersten Nacktheit; die Haut schloß
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Buch Tonka"
Tonka
- Titel
- Tonka
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.8 cm
- Seiten
- 46
- Kategorien
- Weiteres Belletristik