Seite - 153 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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Der Anfang der Wandlung Israels 153
Er setzte das Gewehr ab, reinigte den Lauf und lud sorgfältig. Dann wandte er sich
zu dem Arbeiter, der mit verschlossenem Gesicht neben ihm am Fenster stand. »Es
wird genügen, wenn du hier Wache hältst und Boris Schatz am andern Ende des Dor-
fes. Die Kameraden sollen jetzt essen und schlafen. Die Nacht wird schlimm werden,
scheint mir.«
Langsam verließen die anderen Männer ihre Posten, als sie das Signal zur Rast hör-
ten. Kamen im ebenerdigen Saal der armseligen Dorfschule zusammen, die ihnen we-
gen der besonders dicken Mauern als Hauptquartier und letztes Bollwerk diente.
Es waren sechs Kolonistensöhne18, die im Dorf geblieben waren, als die Bauern es
räumten, und zehn junge Arbeiter aus Russland, aus der Ukraine, vom Kaukasus und
aus Galizien, aus Jaffa und vom hebräischen Gymnasium in der kleinen Gartensiedlung
Tel-Aviv, die hier auf verlorener Wacht standen. Zwei waren in den Eckhäusern am
Dorfrand auf Lugaus19 gebliebenÂ
– die andern rasteten jetzt.
Ein Teekessel kochte auf einem Petroleumbrenner. Brot, etwas Butter, halbgeleerte
amerikanische KonservenbĂĽchsen mit Corned beef und ein Teller mit Oliven standen
unordentlich auf dem schmutzigen Holztisch. Der Mann mit den langen, schwarzen
Haaren berichtete den Kameraden ĂĽber seine Verhandlung mit dem arabischen Send-
boten. Die Burschen rauchten missmutig. »Ob es klug war, Wladimir Michailowitsch,
dass du ihn weggeschickt hast ? Freier Abzug mit Gewehr und Patronen – mehr konn-
ten uns die Araber doch nicht bieten. Trumpeldor hätte uns in Tel Chai nötiger als
hier.« Ein zweiter nickte : »Ich glaube, Trumpeldor braucht uns. Es wäre besser gewesen,
abzumarschieren, wenn uns die Araber den Weg frei gaben.«
Der Schwarze, den die Kameraden Wladimir Michailowitsch riefenÂ
– sein Name war
Wladimir Fuchs, und da Fuchs auf Hebräisch Schu’al heißt, hatte er seit seiner Ankunft
in Palästina seinen halbrussischen, halbdeutschen Namen abgelegt und nannte sich El-
dad Schu’al – der Schwarze sprang auf. Die dichten Augenbrauen zusammengepresst,
schrie er den Jungen an : »Wir haben nichts zu glauben, verstehst du ? Trumpeldor hat
uns befohlen, Metulla zu besetzen. Wir haben nichts zu ĂĽberlegen. Wir haben einfach
tot zu sein, wenn die Araber Metulla einnehmen. So ist der Befehl. Ob er klug war –
was kümmert das uns ?«
Achselzuckend, in schweigendem Einverständnis, sahen sich die Arbeiter an. Der Äl-
teste unter ihnen war ein bärtiger Mann Mitte Dreißig, der russische Advokat Ben Zwi
Steinberg. Weniger seinem Alter als der Tatsache, dass er ein paar hebräische Gedichte
veröffentlicht hatte, verdankt er eine bescheidene Autorität unter seinen Gefährten. So
hörten sie besonnen zu, als er mit etwas überlegener Sanftmut anfing : »Ich glaube, Wla-
18 Kolonistensöhne : Söhne der ersten Alija (1882–1903), siehe Sachregister (S. 346).
19 Lugaus : Ausspähung, Aussicht.
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355