Seite - 208 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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208 C. Wolfgang von Weisl
Vom Hofpflaster her hallten rasche Männerschritte. Die alte Mutter wandte sich
an der Tür um : »Wenn Eldad jetzt kommt … bleibe nicht zu lange auf. Geh’ bald zu
Bett.«
– »Ja, Mutter.« Die Türe schloss sich hinter der Greisin.
Einige Minuten später klopfte es. Eldad war wie gewöhnlich am Abend bei Kazprin
gewesen, um Weisungen für den nächsten Morgen zu holen, und kehrte jetzt heim. Er
kam zu seiner Englischstunde, die Hanna ihm seit Wochen Tag für Tag gab.
Wer nichts anderes bei einem schönen Mädchen machen darf, lernt sogar Englisch …
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M iss Asriel ! Miss Asriel !« Hanna wollte einen Pack Dienstakten in das Zimmer des
Colonels Antimon, des Chefs des Gesundheitsdepartments der Palästinaregie-
rung, tragen, als sie sich gerufen hörte. Sie drehte sich um.
Vom Ende des Korridors kam eilig ein junger Mann. Ein netter, freundlich blicken-
der Herr mit tadelloser Frisur und hübschem, kleinem Schnurrbart. Er war sorgfäl-
tig gekleidet, so wie sich eben ein junger, ehrgeiziger litauischer Jude anzieht, wenn er
wohlbestallter Regierungsarzt im Gesundheitsamt ist und seinem englischen Chef als
wirklicher Gentleman erscheinen will.
»Schalom, Miss Asriel !«, sagte er in dem mit englischen Brocken vermischten He-
bräisch der jüdischen Staatsbeamten, die mit ihren Vorgesetzten immer nur Englisch
reden. »Hätten Sie ein paar Minuten Zeit für mich ?«
Hanna nickte ihm zu. »Schalom, Doktor Gutkowski. Ich bringe nur die Briefe hier
zur Unterschrift, dann komme ich in Ihr Zimmer.« Sie öffnete die Türe zum Zimmer
des Obersten und legte die Akten auf seinen Tisch.
Colonel Antimon sah von seiner Arbeit auf und lächelte freundlich. Er hatte eine
kleine Schwäche für Hanna Asriel, die so ruhevoll und sanft war. Der Oberst hatte jüdi-
sche Typistinnen überhaupt gern, obwohl er jüdische Ärzte im Regierungsdienst nicht
leiden konnte. »Die Juden haben genug Geld und können ihre Ärzte und Spitäler be-
zahlen. Der Araber braucht Doktoren, die zu ihm kommen, die ihn daheim aufsuchen
und die ihn verstehen. Ein schlechter »eingeborener«89 Arzt taugt besser für das Land
als ein gelehrter Europäer«, machte er dem High Commissioner Samuel klar und stellte
nur arabische oder armenische und griechische Ärzte an. Colonel Antimon hätte aber
jedem ins Gesicht gelacht, der ihn einen Judenfeind genannt hätte. »Ich bin Politiker«,
89 Vgl. die geringschätzige Bedeutung, die Weisl mit der Bezeichnung »Eingeborene« für die Araber
in Palästina verbindet und die auch von Arnold Zweig in seinem Roman De Vriendt kehrt heim …
(1932, S.
138) an Weisls Alter Ego, Dr.
Marschalkowicz, kritisiert wird (vgl. S.
27 und LWV 59).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355