Seite - 223 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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Der Anfang der Wandlung Israels 223
könnte als er. Er ging zur Tür, öffnete sie den Freunden – höflich verabschiedete er sie.
Barzeew musste seine Gedanken über Schu’al vorläufig für sich behalten.
* * *
Am Abend saß Eldad – wie immer – in der Küche des kleinen Hauses in Ohel Mo-
sheh, Hanna gegenüber, und berauschte sich wie immer am weichen Klang ihres reinen
Hebräisch, am Ebenmaß ihrer ruhigen Bewegungen, an der klaren Einfachheit ihres
Denkens, das so ganz anders war und das irgendwie das seine zu ergänzen und abzu-
runden schien.
Hanna war nicht das erste Mädchen, das er kennenlernte. Zwar war er unberührt
durch die Wildheit des Soldatenseins gegangen, geschützt durch den ererbten Wider-
willen des Juden gegen billige Liebe. Aber da und dort in Charkow106, auf dem Schiff,
in Kairo, wo er lange Wochen mit Trumpeldor zusammen auf die Einreise-Erlaubnis
nach Palästina wartete, hatte er doch Frauen und Mädchen getroffen, die ihn anzogen
und denen er in seiner freien, wilden Jugend gefiel. Aber allen diesen Frauen hatte etwas
angehaftet, das störte. Etwas Unechtes. Ihre Heiterkeit oder ihr Ernst, die Teilnahme,
die sie seinen Interessen zeigten, oder ihre Gleichgültigkeit, etwas war immer gefälscht,
gekünstelt, verwirrte und beunruhigte ihn.
Hanna aber – Er sah Hanna an, die mit ruhigen, schönen Bewegungen den Bleistift
über das Papier führte, auf dem seine englische Übersetzung eines hebräischen Zei-
tungsartikels stand, und er verglich sie mit anderen Frauen. Ja, auch andere waren schön
gewesen und klug, verstanden Politik – eine von ihnen war jetzt sogar Sowjetkommis-
sarin –, aber wenn er sich an diesen Frauen gemessen hatte, dann war er als Mann in
seinem Empfinden ihnen immer unendlich überlegen gewesen. So überlegen, dass er
sie fast verachtet hatte. Wenn diese Frauen mit ihm über Zionismus, Sozialismus, Krieg,
Frieden sprachen, empfand er das als Anmaßung. Wie Kinder, hübsche, faszinierende
Kinder waren ihm diese interessanten, schönen Damen erschienen, die für Dinge be-
geistert waren, die sie nicht verstehen konnten. Die Männersache waren. Je mehr diese
Weiber ihm ihre Gleichheit beweisen wollten, desto mehr bäumte er sich dagegen auf.
Bei Hanna war das anders. Nie empfand er an ihr den Ehrgeiz, wie ein Mann denken
und fühlen zu wollen – und nie wäre ihm der Gedanke gekommen, ihr gegenüber der
Stärkere, der Überlegene, der Weisere zu sein. Es gab keinen Maßstab zwischen ihr und
ihm. Oft suchte er ein Wort, um ihr Wesen zu beschreiben, mit der Hartnäckigkeit des
Juden, der Ausdrücke verlangt, um Unnennbares zu schildern. Auf seinen Wegen in der
Stadt und auf seinem harten Bett vor dem Einschlafen überlegte er, welcher Ausdruck
die Wirkung ihres Da-Seins am besten präge, und immer waren es zwei Wörter, die
106 Charkow : Großstadt in der nordöstlichen Ukraine.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355