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Der Anfang der Wandlung Israels 273
Wie von einem Blitz erhellt, sah Hanna in sein Inneres. Verstand, was an Eldad ihr
immer fremd, immer etwas unheimlich geblieben war. Nicht jetzt war er verkleidet,
zur Fastnacht geschmückt – er war verkleidet gewesen, als er im Arbeitergewand das
erste Mal vor sie getreten war, er war in einer Maske, wenn er den Sekretär des Herrn
Kazprin spielte, obwohl er in Wirklichkeit das war, was er ihr jetzt zeigte : Soldat. Sie,
Hanna, sollte das Weib eines Soldaten werden ? Aber schön war er, ihr Eldad. Heiß
und stark strömte Feuer aus seinem Körper, seinem Mund, über ihre Hand, entzündete
wirre und widerspruchsvolle Wünsche in ihrem Blut. Sanft lächelte sie ihn an, hielt sich
zurück von der Sehnsucht, ihre Hände in seinen Haaren zu vergraben, seinen Mund an
den ihren zu pressen : »Du wolltest mich überraschen, Eldad, nicht wahr ? Das ist deine
alte Uniform ?«
Harzwi rief, ehe Eldad antworten konnte : »Richtig, Hanna. Seine Leutnantsuniform.
Wir wollen heute Abend nach Tel Aviv fahren, wir wollen tanzen, Hanna. Und du musst
mitkommen, musst dir rasch ein Purimkleid aussuchen ! Purim ist heute !«
Hanna wurde blutrot vor Freude. Noch nie hatte sie mit Eldad getanzt, noch nie mit
ihm ein Fest gefeiert. Abend für Abend seit ihrer Verlobung war er daheim gesessen,
hatte gearbeitet. War höchstens dann und wann am Sabbat mit ihr hinausgewandert
zum griechischen Kreuzkloster149 oder zum Ölberg oder zum Grab Rahels am Wege
nach Bethlehem. Ihr Herz klopfte schneller, lauter, als sie daran dachte, dass sie jetzt
zwei Tage lang mit ihm ohne Unterbrechung allein sein – beim Tanz mit ihm ohne
Unterbrechung allein sein
– beim Tanz in seinen Armen liegen sollte. »Mutter !«, rief sie
und lief zu ihrer Kammer, »Mutter, Eldad will zu Purim …«
Die Kammer war leer. Etwas enttäuscht sah Hanna die beiden jungen Leute an.
»Mutter wird wieder beim Beten an der Klagemauer sein ; heute beginnt ja das Fasten
Esther150 – Mutter geht an jedem Fasttag zur Tempelmauer.« Unschlüssig hielt sie die
Türklinke in der Hand, aber Harzwi schloss die Tür, wies auf das Kleiderbündel auf dem
gepflasterten Fußboden und rief energisch : »Macht nichts ; bis die Mutter kommt, ma-
che ich mir das Kostüm hier weiter, das mir zu eng ist. Und dann richte dir selbst etwas
zurecht. Die Frau Asriel wird schon erlauben, dass du mitfährst.«
149 Kreuzkloster : festungsartiges Kirchengebäude in Neujerusalem nächst der Knesset, im 11. Jahr-
hundert von georgischen Mönchen gegründet, seit dem 17. Jahrhundert im Besitzstand des Grie-
chisch-Orthodoxen Patriarchats.
150 Fasten Esther (hebr. »Taanit Esther«) : siehe Buch Esther, wo die jüdische Perserkönigin Esther, be-
vor sie bei ihrem Gemahl Achaschwerosch (Anm. 152) den erfolgreichen Versuch unternimmt, ihr
Volk vor der drohenden Vernichtung zu retten, drei Tage lang gemeinsam mit allen ihren Volksan-
gehörigen in der Stadt Susa fastet. Zur Erinnerung daran wird von den Juden der Tag (13. Adar)
vor dem Purimfest (14./15.
Adar) als feierlicher Fasttag begangen.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355