Seite - 280 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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280 C. Wolfgang von Weisl
Harzwi sieht die erstaunten Augen der kleinen Französin an Eldads hoher Gestalt
hängen und seine Medaillen mustern. Er fühlt sich verpflichtet, zu erklären, dass man
zu einem Maskenball fahre, aber Lia Antabi versteht sein Hebräisch nicht, und das
Französisch des Steinbrucharbeiters und ehemaligen russischen Gymnasiasten klingt
reichlich ungewohnt. So wendet er sich an die Mutter : »Die Geweret erlaubt doch, dass
Hanna mitfährt nach Tel Aviv ? Es ist doch nur einmal im Jahre Purim ?«
Hanna schlägt bittend ihre langen, schwarzen Wimpern auf : »Ich kann bei der Tante
Gomel übernachten, Mutter. Du wolltest ihr doch schon längst das Deckchen schicken,
das du für sie gestickt hast. Ich könnte es dann mitnehmen.«
Die Greisin sah ihre schöne Tochter an, dann Eldad und lächelte zu Lia hinüber, in-
dem sie ihr einen Stuhl anbot : »Was sagst du dazu, Lia ? Soll ich mein Mädchen mit
dem Goj, mit dem Offizier nach Tel Aviv fahren lassen ? Sie will ihn dort herumzeigen,
damit die anderen Mädels neidisch sind … Aber es passt mir nicht, dass sie so allein
fährt. Es schickt sich nicht. Ich bin altmodisch.«
Lia machte große verwunderte Augen. »Was ist das, Tel Aviv ? Was tut man dort ?«
Feurig erzählt Harzwi, erzählte Eldad von den Wundern des Purimballs in der kleinen
jĂĽdischen Siedlung167 zwischen Jaffa und den SanddĂĽnen am Meer. Bis Hanna die neue
Verwandte zögernd einlädt – zögernd, denn sie ist ihr im tiefsten Innern unheimlich
und unsympathisch, trotz ihres netten, harmlosen Lächelns, trotz der sichtlichen Freude.
Nein, sie hat nichts DringendesÂ
– oder sie kann es sich einrichten, dass sie frei wirdÂ
– sie
wird in einem Hotel in Tel Aviv wohnen … Sie blickt mit lachenden Augen Eldad und
Harzwi an, die beiden starken jungen Männer, die so ganz anders aussehen als die Juden,
die sie bisher an der Klagemauer gesehen hat und in den Waisenhäusern, die sie be-
suchte, um Almosen zu verteilen, und sie freut sich. Ihr ist, als käme sie heim von einer
weiten Reise. Einer weiten, weiten Reise.
Frau Asriel steht auf. Nickt gütig, verständnisvoll Hanna zu : »Wenn du es dir gar so
sehr wünschst – fahre mein Kind. Ich freue mich, dass Kusine Lia mitfährt. Aber jetzt
muss ich euch etwas Essen zurecht machen, zum Mitnehmen auf die Reise …« Tel
Aviv war ja immerhin zwei Stunden Autofahrt von Jerusalem entfernt, wenn der Wagen
langsam fuhr.
Lia verabschiedete sich, Harzwi beeilte sich, sie zu ihrem Hotel zu bringen, um dann
sein Mädchen abzuholen. Eldad und Hanna gingen ins Zimmer und packten die Koffer.
Und während Frau Asriel den Petroleumkocher in Brand setzte, rollten ihr zwei große
Tränen langsam aus den müden, hängenden Lidern über die mageren Wangen herunter :
»Herr der Welt«, flüsterte sie. »Herr der Welt ! Hilf, dass Hanna glücklich wird. Ich ver-
stehe die Welt nicht mehr und ich verstehe nicht mehr diese meine jüngste Tochter. Fährt
167 1920 zählte Tel Aviv nur 2.000, 1925 bereits 34.000 Einwohner.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355