Seite - 285 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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Der Anfang der Wandlung Israels 285
Hebroni machte langsam seine Rechte frei, legte sie um die Schultern der Französin
und steuerte nur mit der Linken, während er aus vollem Hals mit dem Mädchen mit-
sang : »Allons enfants de la patrieÂ
– le jour de la gloire est arrivé …«175
Unter den Klängen des Revolutionsliedes fuhren die sechs jungen Leute in die hell-
beleuchteten Straßen Tel Avivs ein. Und das Licht passte zu ihnen – denn jeder von
ihnen war in seiner Art Revolutionär gewesen und war es noch. Sogar Hanna, die heute
nach Tel Aviv zum Tanzen fuhr, statt bei der Mutter zu bleiben, wie es sich fĂĽr eine
junge Braut aus der Familie von Rabbinern geziemt hätte.
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In Tel Aviv176 angekommen, gingen die drei Mädchen Hanna, Hella und Lia nicht
in eine Pension, sondern legten im Haus der Tante Gomel ihre MaskenkostĂĽme an.
Die drei jungen Männer warteten auf der Straße auf sie. Vom nahen Gymnasium klan-
gen das wilde Stampfen tanzender Füße und das taktmäßige Klatschen von hunderten
Händen herüber : »Hej, eeeel – yiwneh – haaa-galil, Hej, eeel – yiwneh – haa-galil, hej,
el yiwneh hagalil !« immer rascher und rascher. Das monotone, aufpeitschende Lied der
Galiläa-Kämpfer …177
Den wartenden Männern vor dem Haus der Gomel zuckte das Singen, das von fern zu
ihnen klang, durch Mark und Bein. Sie zitterten vor Ungeduld, sich in den Reigen werfen
zu können, Schulter von Freunden, von Fremden zu umfangen, mitzurasen, mitzuschreien,
el yiwneh hagalil ! – Und die Mädchen kamen noch immer nicht ! Harzwi biss sich un-
geduldig in die Finger der Hand. Es war leicht, ihn in Feuer zu versetzen, und er war jetzt
wie ein SchĂĽler in die kleine, blonde Hella verliebt, die so tapfer im Steinbruch arbeitete
und die so kräftig die schweren Karren mit dem Schotter schob. Er wĂĽrde mit ihr tanzenÂ
–
nur mit ihrÂ
–, und wenn er dann sah, dass sie in Stimmung geriet, froh wurde, dann würde
er sie fragen, ob sie ihn heiraten wolle. Harzwi war kein Freund von langem Warten. Das
Leben ist kurz und die Arbeit schwer, und wenn man ein hübsches Mädchen findet, soll
175 Ebda, zweite Zeile : »Le jour de gloire est arrivé !« (»Der Tag des Ruhmes ist gekommen !«).
176 Anm. WvWs : »Die Stadt Tel Aviv – heute [1938] nächst Smyrna und Beirut die größte Stadt
Asiens am Mittelmeer – bestand im Frühjahr 1921, dem zweiten Einwandererjahr Palästinas, erst
aus wenigen hundert ein- oder zweistöckigen Häusern, die sich um den ansehnlichen Bau des
Hebräischen Gymnasiums reihten, wie bescheidene Untertanen um ihren König. Der ganze kleine
Ort lebte recht eigentlich von den Einnahmen, die ihm aus dem Gymnasium mit den fĂĽnfhundert
SchĂĽlern zuflossen. Die Pensionen und winzigen Hotels mit drei oder vier Zimmern waren nur fĂĽr
die SchĂĽler oder ihre Verwandten da, die zu Besuch kamen ; andere Fremde wohnten bei Freunden
und Bekannten, nicht in einem Hotel.«
177 Hej, eeeelÂ
– jiwnehÂ
– haaa-galil (Anm. 24).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355