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Der Anfang der Wandlung Israels 293
Kommen wird er, jubelsingend,
Tragend seine Garben !
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In der großen Halle der Schule, die als eigentlicher Tanzsaal diente, obwohl man in
Wirklichkeit in jedem der Klassenzimmer tanzte, aus denen die Bänke und Pulte ent-
fernt waren, brütete die Hitze. Hunderte von Masken drehten sich dort, eng aneinander
gepresst, ließen kaum Platz für Gutkowski und Hanna, die sich mühsam, Schritt für
Schritt Boden erkämpfend, in den Tänzerstrom hineinschoben.
Gutkowski war glücklich. Zum ersten Mal war es ihm vergönnt, Hanna außerhalb
des Büros zu treffen, zum ersten Mal konnte er sie an seine Brust pressen und ihren
Atem an seiner Wange spüren. Gesegnetes Purim ! Jetzt wechselte die Musik, spielte
einen Tango, den nur wenige Paare des Nachkriegs-Palästina zu tanzen verstanden. Die
Mitte des Saales wurde leer, und Gutkowski konnte Hanna jetzt frei führen.
Er war hoch gewachsen, ein guter Tänzer. Hanna fühlte sofort, dass sie in ihrem gol-
denen Brokatkostüm neben dem eleganten Partner im Frack gute Figur machte. Sie war
froh darüber und folgte leicht der Bewegung Gutkowskis, der stolz war, sich Hanna von
einer neuen, vorteilhaften Seite zu zeigen – als Weltmann, als Gesellschafter. So ver-
ärgert Hanna über Eldad gewesen war, als er sich im Hof als Kosakentänzer zur Schau
stellte, so angenehm berührte es ihr Selbstgefühl, dass immer mehr Paare zu tanzen
aufhörten, um mit den Augen ihr und ihrem Partner zu folgen. Der erste Augenblick
reiner Freude, den sie erlebte, seit sie zum Ball gekommen war, dachte sie mit leiser Er-
bitterung gegen Eldad.
Gutkowski neigte sich über ihr Ohr : »Ich sehe, dass Sie an etwas anderes denken,
Hanna«, flüsterte er teilnahmsvoll. »Ich weiß, woran Sie denken. Es ist zu traurig, dass
gerade das Ihr Purim verderben musste.«
Hanna schwieg verwundert und ungläubig. Doktor Gutkowski sollte bemerkt haben,
dass sie Eldads halber … Unsinn ! So gut konnte sie sich doch noch beherrschen, um nicht
derartige Regungen einem Fremden preiszugeben. Aber schon sprach Gutkowski weiter,
während die Musik gerade die letzten Takte des Tangos verklingen ließ : »Aber Sie er-
innern sich
– ich habe es Ihnen vor Monaten gesagt, dass Kazprin entschlossen ist, Herrn
Schu’al bei der erstbesten Gelegenheit zu entlassen. Sie mussten darauf gefasst sein.«
Hanna blieb stehen, löste ihre Hand von seinem Arm und sah ihm erschreckt in die
Augen : »Was reden Sie da, Doktor ? Kazprin hat – was hat Kazprin getan ? Was ist ge-
schehen ?«
Doktor Gutkowski schluckte, ehe er antwortete. Er hatte nicht an die Möglichkeit
gedacht, dass Hanna nichts von der Entlassung Eldads wusste – oder stellte sie sich nur
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355