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Der Anfang der Wandlung Israels 303
IV. Teil
1
E ldad stand lange vor dem Gartentor und sah gedankenverloren die schäbig grüne
Ölfarbe des Drahtgitters an, die im jungen Morgengrau deutlicher hervortrat.
Dann drehte er sich auf dem Absatz um, schritt mit sicheren, starken Schritten zum
Gymnasium zurück ; er wollte einen Chauffeur suchen und nach Jerusalem fahren. Mit
Danon würde morgen Steinberg auch allein sprechen können. Ihn ekelte vor Tel Aviv,
ihn ekelte vor dem Ball. Er musste allein sein
– musste überlegen, was er mit seinem Le-
ben anfangen könne. Er würde in Jerusalem seine Koffer packen, irgendwo stehen lassen
und weggehen, weit weg von Hanna. Und nachdenken.
Ihm war, als habe er während der letzten Monate die Hälfte seines Lebens, seines
Ich an Hanna verschenkt und als müsse er jetzt auf einmal lernen, nur mit einem halben
Herzen weiterzuleben. Hanna fehlte ihm ; er war so sehr daran gewöhnt, alles, was er in
Jerusalem erlebte, mit ihr zu teilen, mit ihren Augen zu sehen, in ihrer Zustimmung sich
auszuruhen. Jetzt war auf einmal das alles zu Ende. Alles. Er dachte an einen Kamera-
den, dem ein Arm abgenommen worden war
– der hatte ihm gesagt, es sei so, als hinge
der Arm unsichtbar in der Luft neben ihm, als sei er gar nicht weg. So fühlte er jetzt
Hanna. Sie war nicht fort – es war irrsinnig zu glauben, dass dieser Abschied endgültig
sei. Dass er wirklich verurteilt wäre, von nun an allein zu leben. Irrsinnig. Gerade heute,
wo er nicht sein halbes Herz gegeben hatte, sondern sein ganzes, seinen Führertraum,
seinen Glauben. Eigentlich müsste er umkehren, zurückgehen, Hanna ans Fenster rufen,
ihr sagen, es sei ein Missverständnis gewesen. Sie könne doch nicht so weggehen. Er
blieb zaudernd stehen.
Aus dem maurischen Portal des Gymnasiums kam lachend und jubelnd ein Trupp
Masken heraus, »Hedad ! Mazal tow, hurra, Glück auf !«
Die Freude der anderen traf Eldad wie ein Peitschenhieb ins Gesicht. Als ob ich ein
alter Mann wäre, dachte er mit einem Anflug quälerischen Selbstbedauerns. Die Mas-
ken hatten ihn erspäht, er hörte ihre Rufe : »Eldad ! Eldad !« und blieb stehen. Aus der
Gruppe löste sich Hebroni, der Chauffeur, lief, Lia Antabi nach sich ziehend, auf ihn zu :
»Adon Schu’al
– komm, gratuliere ! Harzwi hat sich verlobt.«
Plump und schwerfällig bewegte sich Harzwi vorwärts, die etwas schlaftrunkene
Hella stützend, Steinberg, Danon und eine Reihe anderer Masken hinter ihnen. »Ma-
zal tow, Harzwi ! Mazal tow, Hella ! Ich freue mich, dass du ein so schneidiges Mädel
bekommen hast«, sagte Eldad mühsam. Harzwi lachte über das ganze, breite Gesicht :
»Glaubst du, nur du allein kannst eine schöne Braut haben ? Du heiratest – Danon hei-
ratet
– ganz Metulla heiratet !«
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355