Seite - 315 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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Der Anfang der Wandlung Israels 315
Beruhigt lehnte sich Georges wieder zurück. »Es ist nur, weil du eigentlich doch auch
Jüdin bist. Ich möchte nur, du sollst zu niemandem über mich reden.«
Das Auto wendete, fuhr langsam über die Gebirgsstraße von Ramallah wieder nach
Jerusalem zurück. In Lias Kopf begann es aber zu arbeiten. Es handelte sich also um
Juden
– dass irgendetwas in der Luft lag, wusste sie, das hatte ihr schon Hebroni erzählt.
Sie wird doch aufmerksam sein müssen. Wird gelegentlich Farughi wieder fragen. Viel-
leicht ging etwas Wichtiges vor …
Als sie von Georges vor ihrem Hotel abgesetzt wurde, war sie noch immer in tie-
fen Gedanken. Sie war so wenig daran gewöhnt, angestrengt zu überlegen, dass sie am
liebsten geweint hätte. Aber vielleicht hatte sie deshalb der liebe Gott nach Jerusalem
geschickt, damit sie so wie einst die Königin Esther ihre Sünden dadurch büße, dass sie
das Volk vor bösen Anschlägen rette.
Dann lachte sie sich selbst aus. Wo Georges ihr doch fünfhundert Pfund für arme
Juden gegeben hatte. Wo er doch gesagt hatte, es gehe gegen die Kommunisten, die ja
Feinde der Zionisten waren. Sie war eine Närrin, sich solche Gedanken zu machen. Die
kleine Tänzerin wusste nicht, dass kein Mensch sich Gedanken machen kann, sondern
dass es die Gedanken sind, die den Menschen machen und die sie zu einem anderen
Menschen machen sollten.
* * *
Am selben Abend sprach Georges über die Eindrücke, die er im Heiligen Lande emp-
fangen hatte. Er beglückwünschte seine Freunde zu der herrlichen, beispielgebenden
Einigkeit, die sie in dieser schweren Zeit bewiesen, dankte ihnen für den erquicken-
den Gemeinsinn, mit dem sie alle Parteigegensätze überwunden hätten, um Schulter
an Schulter, Adelige und Bauern, Städter und Beduinen, einzustehen für die Freiheit
Groß-Syriens, geeint im Kampfe gegen die Fremdherrschaft und entschlossen, das
Joch der Juden abzuwerfen, das auf dem Heiligen Lande liegt. Wahrlich, wie unglück-
lich ist die arabische Nation, zerrissen und zerstückelt vom europäischen Imperialis-
mus ! Fünf Teilstaaten haben die Franzosen in Syrien geschaffen195, und zwei Teilstaa-
ten machten die Engländer aus Palästina196, alles, um die geeinte Macht des großen
Volkes zu brechen ! Aber über alle Grenzen hinweg reicht das eigene Band des Natio-
nalismus. Und deshalb darf er, Farughi, ein Araber aus Kairo, aber von edlem syrischen
Blut gezeugt, es wagen, seine Meinung in diesem Kreise von palästinensischen Arabern
vorzutragen.
195 Teilung Syriens in die Regionen Damaskus, Aleppo, Großlibanon, Alawiten, Drusen.
196 Das britische Mandat Palästina umfasste auch Transjordanien, das 1923 abgetrennt wurde und
eine Teilautonomie erhielt.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355