Musil, Alois#
* 30. 6. 1868, Richtersdorf (Mähren)
† 12. 4. 1944, Wostrib bei Böhmisch-Schönberg
Forscher
Arabienforscher und Gegenspieler des "Lawrence von Arabien"
Alois Musil maturierte 1887, studierte anschließend an der Theologischen Fakultät der Universität
Olmütz und wurde dort 1895 (was damals für angehende Priester eine Seltenheit war) zum Doktor der Theologie promoviert.
Er war sprachlich außerordentlich begabt und erlernte in seinen Studentenjahren zunächst gründlich Hebräisch, dazu bald auch Arabisch - eine Sprache, in der er es zur vollendeten Fertigkeit brachte - und auch Türkisch.
Der Fürsterzbischof von Olmütz, Dr. Theodor Kohn, erkannte bald Musils Begabungen und ermöglichte ihm bereits im Herbst 1895 seine erste Orientreise. Schon damals konnte Musil durch günstige Umstände auf das Gelände der ehemaligen Nabatäerstadt Petra (heute in Jordanien) vordringen, die 93 Jahre zuvor durch den Schweizer Orientreisenden Johann Ludwig Burckhardt wiederentdeckt worden war, und hier mit ausgedehnten wissenschaftlichen Forschungen beginnen.
Schon bei diesem seinem ersten Aufenthalt im Orient zeigte sich Musils große Begabung in der geographischen Landaufnahme sowie in der Erstellung von Landkarten, wozu er sich später im Militärgeographischen Institut in Wien besondere Fertigkeiten aneignete.
Wieder in die Heimat zurückgekehrt, versuchte er seine nächsten Pläne zu realisieren. Er hatte während seines ersten Aufenthalts von verlassenen Schlössern der omajadischen Herrscher in der Wüste gehört, über die im ganzen Land Gerüchte umgingen, aber niemand wusste sie genau zu lokalisieren.
Durch Unterstützung des Erzbischofs von Olmütz sowie auch des Ministers für Kultus und Unterricht in Wien konnte er eine Expedition starten. Mit Hilfe befreundeter Beduinen erreichte er in der Syrischen Wüste im Jahre 1897 tatsächlich das erste dieser vergessenen Wüstenschlösser, Kusejr at Tuba. Die ausgedehnten Ruinen mit ihren teilweise noch erhaltenen Kuppeln, interessanten Wandmalereien und ornamentalen Steinmetzarbeiten machten auf ihn großen Eindruck. Er erforschte auch die etwa 10 Kilometer entfernt liegende Ruine Al Mwakar, das zweite Wüstenschloss, und gelangte mit Hilfe eines befreundeten Beduinenfürsten zum Schloss Kusejr 'Amra, das noch nie zuvor vom Auge eines Europäers erblickt worden war.
Musil entdeckte hier einmalige Wandgemälde, wie sie sonst im islamischen Orient wohl noch nie aufgefunden worden waren.Er kehrte kurz nach Olmütz zurück, nahm dort seine Tätigkeit als Katechet am Ober-Realgymnasium auf, erhielt jedoch bald einen neuen Karenzurlaub sowie ein weiteres Stipendium. Damit studierte er in London, Cambridge und Berlin. Bereits im Jahre 1900 brach er wieder in den Orient auf, erreichte im Sommer Kusejr 'Amra von neuem und konnte nun erstmals gründlich an die Beschreibung dieses kulturhisrorischen Schatzes herangehen. Wieder in der Heimat, war Musils Anerkennung als Orientalist aufgrund des mitgebrachten Materials nur mehr Formsache.
Das Interesse, das er der Gegend um Madaba und östlich des Toten Meeres entgegenbrachte, erstreckte sich bald auch auf die Landschaft zwischen Totem Meer und Mittelmeer - auf einen Landstrich, dem er alsbald seine erste große kartographische Arbeit, "Arabia Petraea", widmen sollte. Er hielt sich insgesamt viermal in Petra auf, mit dem Ergebnis, in seiner "Arabia Petraea" die erste umfassende zusammenhängende Darstellung Petras geben zu können. Obwohl ihm andere Forscher zeitlich bei der Herausgabe einschlägiger Publikationen zuvorkamen, hat Musil um die Erforschung Petras auch internationale Anerkennung gefunden, da er als erster eine zuverlässige Karte des Wadi Musa mit den Ruinen von Petra zeichnete und auf die grundlegende Bedeutung der Kultstätten der Nabatäer hinwies; Erkenntnisse, die erst in unserer Zeit entsprechende Anerkennung in der Wissenschaft finden. Die Karte wurde im Maßstab 1 :20.000 vom K. u. K. Militärgeographischen Institut in Wien ausgeführt und von der Akademie der Wissenschaften herausgegeben.
Von Petra ging Musil über Jerusalem wieder nach Wien, um sich zu erholen, zumal er im Verlauf seiner Forschungsarbeiten gewaltige Strapazen erdulden hatte müssen. Darüber schrieb er u. a. folgendes:
...Ich betrat Gebiete; welche noch von keinem Europäer besucht wurden. Die Stämme sind fanatisch mißtrauisch und hindern mich immer und überall. Ich mußte Kamelhändler; Zauberer; Arzt, wandernder Kaufmann etc. vorspielen, um meinen Zweck zu erreichen. Meine drei Begleiter konnten sich nicht vertragen, jeden Tag sollte ich richten, und ich durfte doch keinem recht geben. Den ganzen Tag geistig und physisch arbeitend - an manchen Tagen bis 14 Stunden fußwandernd, zerrissen, schmutzig voll von Ungeziefer der schlimmsten Art, mußte ich in der Nacht alle und alles überwachen. Während der ganzen Zeit habe ich höchstens sechs- oder achtmal Fleisch gegessen, zweimal war ich vom Fieber befallen infolge des schlechten Wassers, das ich nur durch mein Kopftuch trinken konnte. In Abde kroch ich hinauf zu einer wichtigen Inschrift. Nachdem ich abgeklatscht und abgeschrieben hatte, stürzte der Turm ein, und riesige Blöcke wälzten sich herunter - nie habe ich den Tod näher gesehen, denn ich war oben auf dem Turm. Ich empfahl meine Seele Gott und klammerte mich an einen Eckstein, stürzte mit ihm etwa 76 Meter tief (er wurde von anderen getragen) und entkam mit blutigen Händen und Füßen, aber mit ganzen Knochen. Aber größer war mein Seelen leiden, als man mich in el-Arab überfallen, mir Revolver; Geld und vier Hefte mit ethnographischen Notizen geraubt hatte. Die Hälfte der Ergebnisse einer 30-tägigen Arbeit war verloren. Mein Seelenzustand war schrecklich, aber Gott hat mir geholfen. Deo gratias!
Seit meiner Abreise von Gaza habe ich niemals unter einem Zelt geschlafen, nie in einem Zelt gespeist. In Agrud überfiel uns der Häuptling der Barakit. Damals verlor ich meinen Wein und Cognac und lebte über vierzig Tage nur von Wasser, Brot und undefinierbaren Speisen. Dafür sind auch die Ergebnisse groß. Ich kann dieses Wort gebrauchen, da ich weiß;, was andere geleistet haben. Als Ergebnisse der Reise kann ich anführen:
So gegen hundert nabatäische Inschriften, welche ich alle bereits transkribiert und übersetzt habe - unter ihnen eine vom König (es folgt eine hebräische Namenseintragung), zahlreiche griechische Inschriften und die Bilinguis, die in nabatäischer und einer mir unbekannten Schrift verfaßt ist, gegen zwanzig Pläne und Skizzen nabatäisch-heidnischer Kultstätten, Pläne und Skizzen von Städten, Monumenten etc., eine vollständige Karte des Gebietes von der ägyptischen Grenze bis Wadi Sirhan und von el-Kerak bis zum Roten Meer; erschöpfende Aufnahmen des ethnographischen Materials mit getreuer Wiedergabe der Aussprache etc. aller Stämme bis in die Gebiete von Tejm und Medajn Saleh hinein.
Hier in Kerak will ich meine Notizen ordnen, das ganze Gebiet bis zum Toten Meer und zur Pilgerstraße aufnehmen und dann nach Kasr Amra und ins Wadi Sirhan ziehen - falls es meine Kräfte erlauben, ich bin nämlich sehr, sehr müde ...
Der aus einfachen Verhältnissen kommende Alois Musil wusste seine außerordentlichen Talente zu nutzen. Bei den Beduinen stieg er zum Scheich, ja zum engsten Ratgeber eines der drei großen arabischen Fürsten, An-Nuris, auf, in Österreich brachte er es bis zum Hofrat, später zum Geheimen Rat, ferner zum korrespondierenden Mitglied der K. u. K. Akademie der Wissenschaften sowie schon am 1. Dezember 1904 zum ordentlichen Universitätsprofessor. Nach der erfolgreichen Arabienexpedition des Jahres 1908 berief ihn eine "Allerhöchste Entschließung" im Jahr darauf zum Professor der biblischen Wissenschaften und der arabischen Sprache an die Universität Wien. 1919 wurde Musil Ehrendoktor der Theologischen Fakultät der Universität Bonn und Mitglied des Obersten muslimischen Rates in Jerusalem.
In den ersten beiden Kriegsjahren 1914 und 1915 wurde Musil in seiner Eigenschaft als Hof- und Geheimer Rat mit einer äußerst wichtigen politischen Mission betraut, und zwar sollte er gleichsam im "Alleingang" und aufgrund seiner persönlichen Freundschaft mit einigen Beduinenführern Innerarabiens nicht nur den Frieden der stets untereinander verfeindeten Stämme bringen, sondern sie auch veranlassen, gegen die Engländer in den Krieg einzutreten. Tatsächlich gelang ihm nach großen Mühen wenigstens ersteres, und der österreichisch-ungarische Konsul in Damaskus konnte nach Wien berichten: "Musil ist ein historischer Friedensschluss unter den arabischen Stämmen gelungen, der für die kommende Entwicklung Saudi-Arabiens nicht hoch genug eingeschätzt werden kann." Zwar konnte Musil das Osmanische Reich nicht vor dem Untergang retten, aber durch seine Friedensmission wurde der lang aufgestaute Hass innerhalb der arabischen Stämme, auch zwischen Türken und Arabern abgebaut.
In späteren Publikationen rückte Musil auch die legendären Aktivitäten seines damaligen - wenn man so will - Gegenspielers auf der Arabischen Halbinsel, des Oberst Lawrence, ins rechte Licht. In diesen Schriften sagte er sinngemäß folgendes: Lawrence von Arabien sei wohl nach Palästina, Jordanien und Syrien, aber nie in das eigentliche Arabien gekommen. Die meisten Araber hätten ihn daher auch kaum gekannt und entsprechend wenig von ihm gehalten. Nicht seine Persönlichkeit, sondern das englische Gold hätte ihm Anhänger gewonnen. Wirklich ausgezeichnet - so Musil - sei nur das von Lawrence verfasste Buch ("Die sieben Säulen der Weisheit") gewesen, das ihm Weltruhm einbrachte.
Im Jahre 1917 leitete Musil als "General-Oberkriegsrat" die wichtige Orient-Mission des K. u. K. Kriegsministeriums. Zweck dieses delikaten Auftrags war u. a., zu verhindern, dass die deutsch-österreichische Waffenbrüderschaft mit der Türkei in ein einseitiges Monopol für das Deutsche Kaiserreich mündete.
Auch in der anglo-amerikanischen Welt hatte man Musils Bedeutung erkannt, und schon 1906 ersuchte ihn der britische Außenminister Sir Edward Grey um ein Gutachten über die Frage der Grenzziehung zwischen Ägypten und Palästina. 1923 und 1926 weilte Musil in den Vereinigten Staaten, wo die American Geographical Society seine Werke herausbrachte; er selbst hielt u. a. auch Vorträge an der Columbia University.
Der Vollständigkeit halber sei hier noch angeführt, dass Musil im Verlauf seiner kartographischen Arbeiten auf eine Karte der Arabischen Halbinsel zurückgreifen konnte, deren Umrisse außerordentlich genau zwischen 1895 und 1898 durch das österreichische Tiefsee-Forschungsschiff "Pola" unter Linienschiffskapitän Paul von Pott vermessen worden waren. Damals war auch im Auftrag der Akademie der Wissenschaften eine meteorologische Station in Djeddah eingerichtet worden. Eine späte Konsequenz von Musils Arbeit war nicht zuletzt die 1968 von einem Team der Geologischen Bundesanstalt in Wien erstellte und durch Freytag & Berndt im Maßstab 1:250.000 herausgebrachte geologische Karte von Kuwait.
In Nordarabien hat Musil, Professor der Arabistik in Wien, seit 1896 sehr bedeutende Reisen unternommen, die unsere Kenntnis von Arabia Petraea und den angrenzenden biblischen Landschaften Moab und Edom außerordentlich bereicherten. Aufsehenerregend war seine Entdeckung des Wüstenschlosses Kusejr 'Amra.
In seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten zog sich Musil immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück, verfasste zahllose wissenschaftliche Fachbeiträge und auch neue Bücher, die allerdings aus den früheren eigenen Quellen schöpften. Schließlich erwarb er ein Landgut bei Böhmisch-Schönberg, wo er 1944 verstarb.
Werke (Auswahl)#
- Kusejr 'Amra, 2 Bde., 1907
- Arabia Petraea, 3 Bände, 1907-08
- Nordostarabien und Südmesopotamien, 1913
- Zur Zeitgeschichte von Arabien, 1918
- The Jewish in Palestine, 1920.
- Arabia Deserta, New York 1927
- The Middle Euphrates, New York 1927
- Das Reich des "Maria Theresien-Talers"
Im Zusammenhang mit dem Wirken Alois Musils ist es angebracht, einige Worte über den Maria Theresien-Taler ("Levante taler") zu sagen, der im arabischen Raum noch immer eine gewisse Bedeutung hat. Von den Arabern wird er Abu-Tair, wörtlich "Vater des Vogels" (nach dem Doppeladler), manchmal auch Riyalnemsaoui (= österreichischer Taler) genannt. Auf türkisch heißt er Buter, in Ostafrika (besonders Abessinien) Ber oder Gersch. Dass eine Münze, die in ihrem Stammland längst außer Kurs ist, große Zahlen an Neuprägungen erreichte und auch heute noch gehandelt wird, ist ein nicht so einfach erklärbares Phänomen.
Zweifellos handelt es sich um eine schöne Münze, und viele sehen im prächtigen Bildnis der Maria Theresia mit ihren in der islamischen Welt begehrten üppigen Formen eine hinreichende Erklärung für deren Beliebtheit. Allerdings befand sich im Orient auch immer der englische Sovereign mit der jugendlichen britischen Königin Victoria im Umlauf, die eher liebliche Gesichtszüge aufwies als Maria Theresia.
Es dürfte aber besonders wichtig sein, daß der Feingehalt an Silber des österreichischen Talers immer gleich blieb und die Araber bei ihm nie, materiell gesehen, enttäuscht wurden. Er genoss daher ein Vertrauen, das übrigens heute noch auf der Arabischen Halbinsel Österreich entgegengebracht wird.
Der Taler wird seit 1753 - mit einer Unterbrechung von nur elf Jahren (von 1935 bis 1946) - bis heute geprägt. Sein Silbergehalt von 83,3 und das Gewicht von 28,06 Gramm wurden peinlich genau eingehalten. Zwischen 1753 und 2000 wurden ca. 389 Millionen Maria-Theresien-Taler geprägt.
Bis weit in das 20. Jahrhundert war der Maria Theresien-Taler anerkanntes Zahlungsmittel in Teilen Afrikas und Asiens bis in den indischen Raum.
Weiterführendes#
- Hütterer, C.: Der österreichische Lawrence (Essay)
- Jontes, G.: Jagdschloss Qusair el Amra in Jordaniens Wüste (Essay)
Literatur#
- Hans, J., Zwei Jahrhunderte Maria Theresien-Taler, Klagenfurt 1950
- Feigl, E., Musil von Arabien. Vorkämpfer der islamischen Welt, Wien 1985
- K. J. Bauer, A. Musil, 1989
Quellen#
- AEIOU
- H.&W. Senft, Aufbruch ins Unbekannte, Stocker Verlag, Graz, 1999
Redaktion: Hilde und Willi Senft