Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Juan Gabriel Váquez: Lieder für die Feuersbrunst#

Juan Gabriel Váquez: Lieder für die Feuersbrunst / Kurzgeschichten, Schöffling & Co, 2021 / Rezension von Guenther Johann

Juan Gabriel Váquez: Lieder für die Feuersbrunst
Juan Gabriel Váquez: Lieder für die Feuersbrunst

VÁSQUEZ, Juan Gabriel: „Lieder für die Feuersbrunst“, Frankfurt 2021

Seminare, Konferenzen, Tagungen und Symposien sind Einrichtungen zum Lernen; zur Weiterbildung. Lebenslanges Lernen. So auch die Literaturtage „Literatur & Wein“, die jedes Jahr im Stift Göttweig stattfinden. Die Veranstalter verstehen es immer schon bekannte Dichter und jene, die (vielleicht nur in unserem Land) noch nicht so bekannt sind zu präsentieren. Also neue. Weiterbildung.

So ging es mir mit Juan Gabriel Vásquez aus Kolumbien. In seinem Heimatland ist er ein bekannter Schriftsteller und nun kennen ihn auch wir Österreicher. Als einfachen Einstieg in die Dichtkunst von Vásquez empfehle ich die „Lieder für die Feuersbrunst“. Neun Kurzgeschichten sind in diesem Buch zusammengefasst. Sie erzählen von aufs erste belanglos wirkenden Szenen. Unabhängig von der großartigen Ausdrucksweise des Schreibers, stellen sie sich dann doch als Meilensteine der Weltgeschichte dar.

„Frau am Ufer“: Einleitend erklärt er, dass er über Menschen nur schreibt, wenn er deren Einwilligung bekommen hat. So war es auch bei einer Geschichte, die ihm eine Fotografin erzählte. Sie spielt auf einer kolumbianischen Farm, wo sie einige Tage entspannenden Urlaub machte und eine Gruppe um einen bekannten Politiker kennenlernte. Bei einem Ausritt stürzt eine Frau vom Pferd. Sie ist schwer verletzt. Da sie eine Vertraute des Politikers ist, macht sich dieser Sorgen und es kommt zu nächtlichen Gesprächen zwischen der Fotografin und dem Politiker. Zwanzig Jahre später trifft sie diese Frau wieder in derselben Farm. Es kommt zum Gespräch, bei dem die fremde Frau die Fotografin aber nicht erkennt.

„Der Doppelgänger“: Zwei Freunde wurden zum Militärdienst eingezogen. Einer war nicht tauglich. Der andere bekam seine Stelle und starb im Krieg. In der Geschichte werden die Gewissensbisse des Überlebenden literarisch verarbeitet. „Die Frösche“: Bei einem Kriegsveteranentreffen tritt eine Frau auf, die dem Erzähler bekannt vorkommt. Er erinnert sich. Sie war eine vornehme Frau. Die Verlobte eines Offiziers, der im Krieg war. Sie wurde schwanger. Er, der Erzähler, verdiente sich damit Geld, Frösche für ein Labor zu sammeln. Die Frösche wurden dafür verwendet, um festzustellen, ob eine Frau schwanger war. Die Frau, die er hier wieder traf, sprach ihn vor dem Labor an und bat ihn, ihr einen Schwangerschaftstest machen zu lassen, bei dem sie anonym bleiben konnte.

„Schlechte Nachrichten“: Während seines Paris Aufenthalts lernt Vásquez einen ehemaligen amerikanischen Militärpiloten kennen. Es passiert, während eines, auf einem Großbildschirm am Pariser Rathaus übertragenen Fußballmatches, in dem die USA gegen den Iran spielen und der Iran gewinnt. Der Helikopterpilot erzählt von seiner Stationierung in der amerikanischen Militärbasis Rota, die ihre größte in Europa ist. Der fremde Amerikaner erzählt auch von einem talentierten Pilotenkollegen und der Schriftsteller fragt sich laufend „Warum erzählt mir der das?“ Dieser Pilot sei bei einem Unfall umgekommen, und er, sein Freund, sollte die Frau informieren. Detailliert erzählt er, wie er die schlechte Meldung weitergab.

Nach einigen Jahren übersiedelt der Schreiber dieser Kurzgeschichte nach Barcelona und die Militärbase Rota kam ihm wieder in den Sinn. Bei einem Familienurlaub in Malaga sucht er die Witwe auf und bekommt eine gänzlich andere Version erzählt. „Wir“: Ein Freund war verschwunden. Spurlos war er weg. Seine Freunde spekulieren und interpretieren. Über soziale Medien werden Kommentare abgegeben. Der Dichter lässt daraus eine Kurzgeschichte entstehen.

„Flughafen“: Der Schreiber dieser Geschichte wurde als Statist für einen Film engagiert, der auf einem Pariser Flughafen gedreht wurde. Dabei lernt er den Regisseur Polanski kennen. Aus der Sicht eines einfachen Statisten beschreibt Vásquez das Entstehen einer Filmszene

„Die Jungen“: In einem Nobelviertel, einem gut bewachten Compound entstand eine Jungendbande. Söhne von wohlhabenden Eltern werden zu Schlägern. Auf Vorschlag eines Bandenmitglieds wird eine Mordszene nachgestellt. Zwei Welten, die hier aufeinandertreffen: die Reichen und die verwahrlosten Kinder.

„Der letzte Corrido“: Der Autor erhielt den Auftrag, eine lateinamerikanische Band bei ihrer Spanientournee zu begleiten und einen Bericht darüber zu schreiben. Sie treten in Barcelona, Valencia, Madrid und am Ende in Cartagena auf. Er wurde von den Bandmitgliedern behandelt „wie ein Gast, der auf dem Fest nicht willkommen war.“ Er war für sie ein „literarischer Paparazzo“. Letztlich stellte er fest, dass die Band dieselbe Tournee vor 5 Jahren schon gemacht hatte. Nach dem letzten Konzert schied ihr Gründer und Leadsänger aus. Er gestand Krebs zu haben sich den Kehlkopf rausschneiden zu lassen. Damit verlor er seine Stimme. Der bekannte Sänger wurde stimmlos. Er wollte aber das letzte Konzert noch singen, weil aus dieser Tournee eine Schallplatte entstehen sollte. „All die Tage hat er sich Kortison gespritzt, allein in seinem Zimmer. Hat die Spitzen selbst aufgezogen, da muss man schon ein Kerl sein.“ (Seite 180) erzählte ihm der derzeitige Leadsänger. Sehr emotionell wird hier von einer Konzerttournee geschrieben, die es aber fünf Jahre vorher schon gegeben hat und nach der sie den Gründer der Band, die 1968 entstand, verloren hatten. Der „Paparazzi Vásquez“ zeigt sich in dieser Geschichte als literarischer Akrobat, der Emotionen beschreibt, die keinen Leser tränenlos zurücklassen.

„Lieder für die Feuersbrunst“: Eine Geschichte, die aus Recherchearbeiten für einen Roman entstanden sind. Die Hauptperson ist eine junge Frau, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als uneheliche Tochter eines kolumbianischen Soldaten in Europa geboren wurde. Der Vater stirbt im Krieg, die Mutter versucht sich zu den Großeltern nach Kolumbien, wo diese eine Kaffeeplantage besitzen, durchzuschlagen. Der Autor beschreibt, wie sich das Mädchen nach einer Schulbildung in einem Klosterinternat sehr liberal entwickelt und zur Journalistin avanciert. Vieles stellt sie in Frage und wird auf einem Friedhof begraben, wo nur jene beerdigt werden, denen die Kirche eine Bestattung am offiziellen (katholischen Friedhof) verweigert.