Zwischen Panikmache und Aufklärung #
„Welt-Virus-Krise“, „Der unsichtbare Feind“, „Corona-Crash“ – gefühlt wird dieser Tage die Apokalypse verkündet. Warum diese Untergangsszenarien? Eine Annäherung an ein mediales Phänomen. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (5. März 2020)
Von
Brigitte Quint
Wie mit dem Coronavirus umgehen? Eine Herausforderung, der sich auch die Medien stellen müssen. Welche Art der Berichterstattung dient der Aufklärung und der Information – und wo fängt Panikmache an? Ein Blick auf die Schlagzeilen von Qualitätsmedien zeigt, wie sehr die Grenzen innerhalb dieser Causa zu verschwimmen scheinen. So titelte Der Standard vergangene Woche: „Die Welt gegen das Virus“. Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel ging mit der Cover-Story „Welt-Virus-Krise“ in Druck. Indes bezeichnete Die Zeit den neuartigen Erreger als „Der unsichtbare Feind“. Die Presse fragte auf Seite eins: „Werden die Medikamente knapp?“ und die Wiener Zeitung vermeldete: „Wiener Corona-Fälle lösen Krisenmodus aus“.
Klar wird: Ein echter Kontrast zum Boulevard ist bei diesem Wording nicht wirklich zu identifizieren. Österreich bezeichnete den Stand der Dinge als „Die totale Corona-Panik“ und die Bild-Zeitung warnte auf ihrer Homepage: „Kein Notfallplan gegen Corona-Crash“.
Was auf den ersten Blick auffällt: Begriffe wie „Krise“, „globale Bedrohung“, „Angst“ scheinen sich in der Berichterstattung zum Coronavirus etabliert zu haben – und zwar quer durch alle Qualitätsniveaus der Medien hindurch. Eine Entwicklung, die Georg Ruhrmann, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Jena, kritisch sieht. Gegenüber Deutschlandfunk Nova sagte er: „Die dramatisierende Berichterstattung ist eines der eigentlichen Probleme derzeit.“ Ruhrmann appellierte in diesem Zusammenhang an Redaktionen und Verlage, sich intensiv mit den wissenschaftlichen Sachverhalten auseinanderzusetzen und medizinische Experten besser einzubinden. „Viel hängt von der Qualifikation und Einstellung der einzelnen Journalisten ab“, erklärte Ruhrmann in seinem Statement.
Tragen Experten zur Beruhigung bei? #
Hat Ruhrmann Recht mit seiner Kritik? Dass in dem Artikel „Im Virus-Fieber“ (Der Spiegel, Ausgabe 9) zu wenige ernstzunehmende Quellen herangezogen worden wären, kann den Autoren zumindest nicht vorgeworfen werden. Unter anderen kommen Marc Lipsitch (Epidemiologe an der Harvard-Universität), Michel Yao (Notfallkoordinator der WHO) oder Christian Drosten (Direktor des Instituts für Virologie der Berliner Charité) zu Wort. Doch die Einschätzungen der Experten des Sachverhaltes tragen alles andere als zur Beruhigung des Lesers bei. Im Gegenteil. Der Spiegel schlussfolgert viel mehr: „Neue, ungeklärte Todesfälle deuten darauf hin, dass das Virus bereits außer Kontrolle ist.“ Vergleichbare Resümees ziehen auch vergleichbare Qualitätsmedien.
Nicht die dramatisierende Berichterstattung, sondern das Herunterspielen seitens der Politik sieht indes die Washington Post als das eigentliche Problem der Coronaepidemie. Zumindest in den USA. „Trump und seine Sprecher spielen die Schwere der Krankheit herunter und kritisieren stattdessen die Medien dafür, dass sie ihre Aufgabe erfüllen“, schreibt etwa eine Kommentatorin. Zudem merkt sie an, dass in Medienkreisen mittlerweile ernsthaft diskutiert wird, ob man Präsident Trump in Krisenfällen noch guten Gewissens zitieren kann. „Er nutzt die Bühne um die Massenmedien zu beschädigen.“ Ein Statement von Mick Mulvaney, dem amtierenden Stabschef des Weißen Hauses, scheint den Vorwurf zu bestätigen. So empfahl dieser in einem Hearing, den Fernseher für 24 Stunden auszuschalten, damit sich „die Lage beruhige“.
Dass Phänomene wie das Coronavirus immer mit machtpolitischen Dimensionen einhergehen, ist für Thomas Herdin – Professor für Interkulturelle Kommunikation an der Universität Salzburg – keine Überraschung. „Innerhalb des Diskurses geht es zunächst einmal primär um die Gesundheit der Bevölkerung. Sekundär dient aber eine öffentliche Aussage seitens einer Regierung oder einer Partei zur Causa, sich zu positionieren.“ Auch dass Medien die Thematik aufgreifen, dabei auf ihren Bildungs- bzw. Informationsauftrag setzen und gleichzeitig versuchen, ihre Geschichten bestmöglich zu verkaufen, ist für ihn kein Widerspruch: „Wir müssen die starken neoliberalistischen Tendenzen, die bei uns vorherrschen, berücksichtigen. Nicht-staatliche Medien müssen sich über die Auflage, die Klicks finanzieren. Das, was funktioniert, wird sich durchsetzen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot.“
Den Medien grundsätzlich Panikmache zu unterstellen, ist für Herdin zu kurz gegriffen. „Reißerische Meldungen hat es immer gegeben. Tatsächlich aber ist es eine individuelle Entscheidung, welche Nachrichten ich konsumiere und welche eben nicht.“ Herdin macht darauf aufmerksam, dass es viel wichtiger sei anzuerkennen, dass die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien in der Bevölkerung immer weiter steigt. Dies hätte auch mit der „Schwächung der gesellschaftlichen Mitte“ zu tun, die zu einer gefährlichen gesellschaftspolitischen Entwicklung führte. „Wenn es mir gut geht, dann wirkt sich das auch auf meine Einstellung zu gewissen gesellschaftlichen Debatten aus. Etwa Migration. Wenn es mir schlecht geht, suche ich eher einen Sündenbock. Es wird immer Medien geben, die Letzteres bedienen. So ist unser System aufgebaut.“
Eine Analyse, die auch Tanjev Schultz, Professor für Journalismus an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, teilt. „Bereits bei Ebola haben wir gesehen, wie stark sich absurde Meldungen über das Internet verbreiten können. Diese Erfahrungen machen wir immer wieder bei Gesundheitsthemen.“ Vor allem soziale Netzwerke dienten der Streuung wilder Spekulationen. „Es werden Angriffe gegen das System der Wissenschaft gefahren, mit dem Ziel, seriöse Strukturen der Wissensvermittlung zu zerstören. Häufig mischt sich ja nun auch ein rassistischer Ton gegenüber Chinesen ein.“ Allerdings erklärt Schultz auch, dass die meisten Menschen nach wie vor klassischen Nachrichtensendern und Zeitungen mehr vertrauen als Online-Medienseiten mit zweifelhaftem Inhalt.
„Alles wird über die Wirtschaft gespielt“ #
Der Experte für „Interkulturelle Kommunikation“, Thomas Herdin, sieht darin eine Chance, Qualitätsmedien langfristig zu stärken. „Derzeit spielen sie in einem Gesellschaftssystem wie dem unseren, in dem alles über die Wirtschaft gespielt wird, nicht die Rolle, die ihnen eigentlich zustünde.“
Dass sich andererseits alle Medien dessen bewusst sein sollten, welche Emotionen die gezeigten Bilder bei ihren Konsumenten auslösen können, betont dagegen die Sozialpsychologin Katja Corcoran von der Karl-Franzens-Universität in Graz. Sogar einen Schritt weiter würde Wirtschaftspsychologe Erico Kirchler (Universität Wien) gehen. Er plädiert für entschärfende Bilder, Metaphern und Geschichten. Seiner Meinung nach gelänge es oft nicht mehr, allein mit sachlicher Berichterstattung „emotional aufgeschaukelten Vorstellungen“ entgegenzuwirken.
Die Forderung nach einer emotionsloseren Berichterstattung geht vermutlich ins Leere. Moderne Suchmaschinenoptimierung via Reizwörter ist das Erfolgsrezept Nummer eins für moderne Medienhäuser. Allerdings scheint es derzeit so, als würde der „Feind“ mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden. So werden Artikel publiziert, die eine Ur-Sehnsucht des Menschen behandeln: die Rückbesinnung auf alte Werte. Die Zeit schreibt, dass die Krise dazu führe, wieder über die Vorteile heimischer Produktion nachzudenken.
Auf CNN und BBC werden die Nachteile der sogenannten Hyperglobalisierung diskutiert. Weiter häufen sich weltweit die Berichte, dass die Luftverschmutzung in China seit Ausbruch des Virus zurückgegangen ist. „Sagen was ist“ – so titelte Der Spiegel nach dem Fälschungsskandal in den eigenen Reihen. Was ist? Diese Frage kann man sich auch in Bezug auf die Coronakrise stellen. Auf jeden Fall eine gewisse Angst vor dem Ungewissen. Es ist keine Schande, das auch zu benennen.