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Achtes Kapitel: Labyrinth#

Ein besonderer Ort#

Labyrinth
Labyrinth, 1987-91

Das große Bildformat findet man bei Hausner nur als Ausnahme. Beispiele sind Wir (1981), Ich (1981), Laokoon in der Umlaufbahn (1976), Aufruf zur Verteidigung der persönlichen Freiheit (1971 - 1978) und die Bilder des »Leonardo«-Zyklus. Das Labyrinth (1991) ist ebenfalls zu betrachten als Teil eines Reigens von Ausnahmen und ist von daher schon beachtenswert. Zum Inhalt und zur Form: Man meint, ein Beispiel eines erneuten Ausgreifens vor sich zu haben, ein Ausweiten und ein Erproben gegenüber der erwähnten, in den letzten zehn Jahren einsetzenden Zentrierung und Fokussierung. Die Inhalte und die formalen Elemente, die sich bis zum »Leonardo«-Zyklus in den 80er Jahren und seit Beginn von Hausners Malerei in den 30er Jahren ausgreifen, ausdifferenzieren und maximalisieren, werden danach, seit Mitte der 80er Jahre, zentriert und zwar auf das Generalthema: Adam. Hat man diese Perspektive vor Augen, dann befindet sich das Labyrinth im Schnittpunkt dieser beiden Perioden.

Hausner hat selber einmal darauf hingewiesen, daß mit der Zunahme an Atelierraum, verbunden und begründet mit der Zunahme an Reputation und finanzieller Abgesichertheit, sich in der Regel die Formate eines Malers vergrößern. Als junger Maler bewegt sich Hausner eingezwängt in nicht mehr als dreißig Quadratmeter in einer kleinen Gemeindebauwohnung im 3. Wiener Bezirk. Aufgrund dessen sind damals die großen Formate räumlich einfach nicht gegeben gewesen. Dies ist vielleicht eine nebensächliche, aber dennoch eine zwingend notwendige Beobachtung der Entwicklung eines Malers. Sie folgt allerdings teilweise dem klassischen Muster der Rationalisierung und Legendenbildung von der Entwicklung aus Armut, geringem Einkommen, minimalen Möglichkeiten bis hin zur Zunahme von Einkommen und daher das Sichentfalten im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn (Bei David Hockney ergibt sich noch eine aufschlußreiche Rück-Vor-Entwicklung. Der arrivierte Künstler, der seit Jahrzehnten in Kalifornien lebt, kaufte sich kürzlich ein kleines Haus am Meer: »Dort bin ich jetzt am glücklichsten, allein da unten mit den Hunden; wenn ich in dem winzigen Atelier bin, dem kleinsten Raum, in dem ich je gearbeitet habe - eine 90-mal-120-Zentimeter-Leinwand wirkt darin riesengroß.« (Zeit Magazin, 14.01.1994). Bei Hausner verläuft diese Entwicklung allerdings nicht linear. Trotz seiner Reputation haben sich seine Bildformate nicht wesentlich vergrößert. Es handelt sich also bei jener Bemerkung um eine, die von ihm selber eher beiläufig zu verstehen ist. So oder so, das Labyrinth stellt aber tatsächlich eine Ausnahme dar. Der Grund dafür muß wohl in einer anderen Konstellation als dieser entwicklungshaften Dimension gesucht werden.

Labyrinth
Labyrinth, 1987-91, Ausschnitt

Man versuche deshalb zunächst eine Annäherung vom Titel her. Das Labyrinth bedeutet in der europäischen Kulturgeschichte einen archaischen Ort des Mythos. Das Labyrinth des Minotaurus, wahrscheinlich auf Kreta, dessen historische und lokale Dimensionen noch immer einer genaueren Aufklärung harren, bedeutet einen solchen Ort. Es ist der des Übergangs vom Tier- zum Menschenreich, stammesgeschichtlich der der Menschwerdung. In diesem Sinn ist es auch ein Ort archaischer Kulturen rund um das Mittelmeer, eine Bündelung der Linien europäischer Menschheitsentwicklung. Des weiteren bedeutet das Labyrinth ein Element der Architektur, das auch in anderen Kulturen und Ansiedlungen nachweisbar ist. Sinn und Zweck sind dabei nicht restlos zu klären. In der europäischen Architektur- und Kulturgeschichte zeigt sich das Labyrinth allerdings dann hauptsächlich im Rokoko und im Barock etwa in Italien, Frankreich und England und bildet dort ein vorzügliches Element der Gartenbaukunst. Dabei dient es des Divertissements, der Abwechslung, der Unterhaltung und den Spielereien, die sich im höfischen Gefüge und anderswo ereignen. Im letzten Akt von Mozarts Oper »Figaros Hochzeit« bildet ein Labyrinth den räumlich grundlegenden Spielort, auf dem die verschiedenen Beziehungsverwirrungen ihrem Höhpunkt und danach ihrer Lösung entgegen streben.

Im übertragenen Sinn bezeichnet Labyrinth symbolisch und zeichenhaft eine Unübersichtlichkeit, eine Verwirrung, eine Verirrung; gleichzeitig und komplementär dazu die Möglichkeit, da hindurch zu einem Ziel zu gelangen. Es versinnbildlicht so etwas wie eine Probe, durch die gegangen werden muß, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ein anderes Beispiel aus einer Mozartoper, der »Zauberflöte«, die insgesamt als ein Labyrinth zu entziffern ist, in der die verschiedenen Elemente sich auf eine Entwicklung und eine Erlösung hin bewegen. Die Probe von Tamino, die er bestehen muß, um zu seiner Liebsten zu gelangen, ist ebenfalls in einer labyrinthischen Anordnung angesiedelt. Hier stellt die Feuerprobe ein Arrangement dar, in dem die Protagonisten auf unterschiedlichen Ebenen hin zu einer Erlösung streben.

Labyrinth
Labyrinth, 1987-91, Ausschnitt

Labyrinth
Labyrinth, 1987-91, Ausschnitt

Hausners Labyrinth, wiewohl aus solch mythologisch-europäischen Ursprüngen gespeist und beeinflußt, stellt einen bestimmten Topos in Wien dar; dieser ist geographisch ziemlich genau festzumachen. Im Hintergrund sieht man den Kahlenberg und den Leopoldsberg, einen Hang und eine Wiese, die dem Betrachter zufließen und in ein Heckenlabyrinth münden, das irgendwo im 9. Wiener Gemeindebezirk liegt. Dieser Bezirk ist insofern ein bedeutsamer Ort, da nicht nur Hausner hier seine Kindheit verbringt und seine ersten Ausblicke und Ausgriffe in die Welt tätigt, sondern auch der Ort, wo in der Berggasse Sigmund Freud für lange Jahre lebte und wirkte.

Stellt man sich geographisch außerdem noch vor, was an diesem Abhang vor dem Kahlen- und Leopoldsberg noch sein könnte, so stößt man auf die Stelle an dem sich das früher beliebte Hotel und Ausflugslokal »Bellevue« einmal befand. Dies ist ein weiterer, für die Psychoanalyse besonderer Ort, wo heute ein Gedenkstein daran erinnert, daß Freud auf einem Spaziergang mit Wilhelm Fliess über seine Theorie diskutierte und wo er geäußert hat, es würde ihn wundern, wenn an dieser Stelle einmal ein Gedenkstein stünde. Es ist also exakt der Ort, den Freud als bedeutsam für die Entstehung seiner Theorie empfunden hat. Geographisch zeichnet schließlich das Bild die Richtung Wiens zwischen Ost und West nach, eine historisch bedeutsame Lage, an der angeblich das Abendland durch Prinz Eugen vor dem Ansturm der Türken gerettet wurde. Es markiert für heutige Verhältnisse schließlich auch jene Landschaft, in der, hinter diesen beiden Bergen, sich einmal der Eiserne Vorhang befunden hat, der inzwischen gefallen ist. Eine Örtlichkeit also insgesamt von historisch-geographisch-wissenschaftlicher Bedeutsamkeit. Auf Hausners Bild bildet diese Gegend zunächst einmal den Hintergrund, eine Naturkulisse, vor der sich eine dramatische Handlung abspielt. Adam, Eva, der Narrenhut und der kleine Rudolf Hausner sind zum ersten Mal dort vereint. Es ist der Austragungsort für eine Auseinandersetzung, die für Hausner schicksalhafte Bedeutung hat.


Das Treffen#

Labyrinth
Labyrinth, 1987-91, Ausschnitt

Die Aktion des Bildes, die Bewegung, die innere Dynamik und Energie gehen von dem kleinen Rudolf Hausner aus. Dieser verkörpert in diesem Labyrinth der Gefühle die Erinnerung an seine eigene Entwicklung, an seinen weiten Weg zu sich selbst, der vom kleinen Jungen des letzten »Narrenhut«-Bildes (1993) bis zu dem etwa sechsjährigen, der auf dem Familienbild vor seiner Mutter kniet, reicht. Dieser Knabe am vorderen Rand, der fast aus dem Bild herauszutreten scheint, sucht den Eingang ins Labyrinth, zugleich deutet er die Richtung zum Zentrum an, in dem die Entscheidung der Ganzwerdung fallen wird. Die innere Dramatik des Bildes enthüllt sich ganz, wenn man es im Zusammenhang der gesamten Malerei Hausners betrachtet. Dann erst verraten sich die subtilen Linien und Beziehungen der Figuren untereinander. Aber vor allem ist es ein Merkmal der letzten Bilder dieser Serie: der Pinselstrich wird immer lebendiger, offensichtlicher und unmittelbarer. Soweit zunächst einmal zum äußerlich Sichtbaren, zur Komposition.

Der kleine Junge ist also auf der Suche nach dem Eingang zum Labyrinth. Dabei ist er des öfteren schon nahe, ohne ihn jedoch zu sehen; nur der Betrachter behält einen Überblick aufgrund seiner Draufsicht. Den jungen Adam treibt es nach der Lösung seines Schicksals, er sucht eine Antwort auf die Frage nach seiner Herkunft und seines Ziels. Von dieser Suche kann ihn nichts abhalten - nicht einmal die Ahnung, daß er im Labyrinth das Ungeheuer Minotaurus finden könnte. Obwohl ihn dieser vernichten kann, drängt es Adam zu ihm. Erlösung oder Untergang sind seine Alternativen.

Labyrinth
Labyrinth, 1987-91, Ausschnitt

Was ihn im Inneren des Labyrinths schließlich erwartet, ist indes nicht dieses Ungeheuer, sondern die Personen seines ununterbrochenen Sehnens und Verlangens, die Archetypen seines Schicksals: Adam, der Narrenhut, Eva. Diese Personen sind im Labyrinth vereint. Die Fluchtlinien laufen auf sie zu so wie die Wege des kleinen Adam. Sie bilden den Gral, das Zentrum der Erlösung. Wie Parsival in der Gralsgesellschaft Erlösung und Anerkennung findet, so findet der kleine Adam bei den drei Personen Halt, Geborgenheit und Sinnerfüllung.

Das Labyrinth ist nicht nur Hausners größtes Bild, es ist auch ein religiöses Werk und zwar an der Schnittstelle zwischen der Periode der Ausdifferenzierung und der erneuten Zentrierung auf die Geschichte Adams. In ihm hat sich Hausner von allen Analysen, allem Suchen freigemalt. Er hat sich mit seiner Anima endgültig versöhnt und hat damit vollendet, was er in Adam Selbst (1960) begonnen hat. Dort hat sich Adam von seiner Anima getrennt, indem er sie zuvor als Teil seiner Persönlichkeit ausfindig macht. Durch die Figur der Eva ist Anima nun auf ein höheres Niveau gehoben; Adam ist in Eva aufgehoben. Weil der kleine Adam aber nicht nur Eva im Inneren des Labyrinths findet, sondern auch den alten Adam, wird er mit seinem Dämon konfrontiert. Er sieht sich als alten Mann, er sieht sein Schicksal, er erblickt das Ziel seiner Entwicklung. Damit erhält sein Leben eine Zielrichtung. Alle Schwierigkeiten, dieses Ziel zu erreichen, verblassen, werden unwesentlich. Die Suche Adams gleicht dem Kampf des Minotaurus mit sich selbst.

Damit wird die mythische Geschichte auf eine andere Dynamik verpflichtet und erweitert. Die äußeren Gefahren werden ins Innere verlegt, das Bestehen des Abenteuers besteht nun im Erkennen des eigenen Selbst, der eigenen Persönlichkeit, und zwar mit all ihren Facetten, allen Erfolgen aber auch allen Abgrün-den, allen Freuden und allen Gefahren. Da der kleine Adam die Gesellschaft der Drei gefunden hat, kann er sich mit sich selbst abfinden; er befindet sich auf seinem Weg, das Ziel vor Augen. Dem, der sein Inneres erkundet und ausgeleuchtet hat, werden von nun an die äußeren Unbilden zu Herausforderungen. Adam ist erlöst. Adam ist mit sich selbst versöhnt.


Labyrinth
Labyrinth, 1987-91, Ausschnitt

»Ich bin wie mein eigenes Troja«#

Labyrinth
Labyrinth, 1987-91, Ausschnitt

Rudolf Hausner: »Ich erkenne bereits die Umrisse eines zweiten Labyrinths. Mein Traum ist es, ein Bild zu malen, das mindestens zweieinhalb mal drei Meter groß ist. Dieses Bild wäre so hoch wie das Bild in Münster. (Hausners großformatiges Bild (3x6 m) 'Aufruf zur Verteidigung der persönlichen Freiheit' (1971-78) hängt seit 1992 als Leihgabe der Republik Österreich im Foyer der Universität Münster/Westfalen) Es wäre so groß wie ein Scheunentor, in Hochformat. Ein dunkles Bild, auf dem alle versammelt sind. Man könnte es vielleicht Der ganze Adam nennen. Ich habe im Labyrinth schon damit begonnen. Adam wäre jetzt in der Mitte, Anne hielte den Buben. Alle müßten zu sehen sein: der Narrenhut und Adam. Es wäre schön, wenn sie wie aus einer dunklen Fläche herausträten und von der Seite ein merkwürdiges Streiflicht bekämen, so als stünden sie lebendig vor einem Nichts. Nur Dunkelheit. Vielleicht müßte es auch im Hintergrund schwarz sein so wie zum Beispiel der letzte Narrenhut mit dem kleinen Buben (Vater und Sohn, 1993). Die Vier sind im Labyrinth schon vorhanden, nur der kleine Junge rennt erst auf die Gruppe zu - in dem neuen Bild wäre die Gruppe bereits fest verbunden. Dieses zweite »Labyrinth« wäre Adams Erlösung, ein metaphysisches Bild, fast unheimlich. Ich sehe das so.«

»Zu meiner Anima im zweiten Labyrinth: Ein Junge in der Pubertät hat eine Traumvorstellung von einer bestimmten Frau. Mir kommt so vor, und das ist platonisch zu verstehen, als wäre diese Idee, diese Uranlage, das Urbild, dieses geistige Bild seither noch immer in mir. Es ist in mir entstanden und hat sich in mir entwickelt. Mit diesem Bild in mir bewege ich mich, und ich finde nur Frauen, die sich in Korrespondenz zu diesem Bild im Inneren befinden. Mein inneres Bild ist zuerst da. Ich finde stets nur das, was ich suche. Man kann in seinem Leben 'dreitausend Frauen in Spanien' begegnen, die jede ganz unterschiedliche Typen darstellen; doch ich kann sie nicht sehen, ich bemerke sie nicht. Ich bleibe nur bei derjenigen Wahrnehmung hängen, die in mir angelegt ist.«

Labyrinth
Labyrinth, 1987-91, Ausschnitt

»Es geht nie andersherum. Ich vermag den Typ auch gar nicht zu wechseln. Ihre Haut wird immer hell sein, ihre Taille schlank und das Becken wird rund und die Hüften breit sein. Alle meine gemalten Frauenfiguren sind nach diesem inneren Vorbild geformt. Ich habe an mir beobachtet, daß ich schon als Kind den Wunsch, die Sehnsucht nach diesem einen Typ von Frau gehabt habe. Selbstverständlich wird Anima in dem neuen Labyrinth unwiderstehlich sein. Ich bin wie mein eigenes Troja. Ich grabe und ich lege ein zweites Labyrinth frei. Ich grabe nur in mir: im Rudolf Hausner. Da finde ich alles, was ich brauche, in Schichten übereinander. Jetzt bin ich inzwischen bei meinem Labyrinth II angekommen.« (Gespräch W. Schurian mit R. Hausner Juli 1993)

Der chinesische Filmregisseur Chen Kaige (»Lebewohl meine Konkubine«) äußert sich über seine Arbeitsweise: »Ich beginne immer mit den Bildern. Die Sprache, die Ideen kommen erst später. Alles, was die Kamera aufnimmt, habe ich schon vorher gesehen, als Bild in meinem Kopf. Dabei versuche ich eigentlich gar nicht, etwas zu erschaffen. Ich versuche nur, mich genau zu erinnern. Die Wahrheit, die Lösung ist immer schon da, ich erfinde sie nicht, ich grabe sie nur aus. So arbeite ich.« (Die Zeit, 03.12.1993)




Inhaltsübersicht#


© Walter Schurian, Hausner- Neue Bilder - 1982-1994, Edition Volker Huber